Waldgestaltungsplan Sihlwald Planung 1991-2001
 
 

Teil C
 
 

Langfristige Planung






1. Das Projekt "Naturlandschaft Sihlwald"
 
 
 
 

1.1 Idee und Hintergünde
 
 

 Die Idee im Sihlwald eine "Naturlandschaft" entstehen zu lassen, wurde von Stadtforstmeister Andreas Speich erstmals im August 1985 an einer Konferenz der Direktoren des Bauamtes unterbreitet, welche Szenarien für zukunftsgerichtete Schritte zum Thema hatte. Obwohl die skizzierte Entwicklung für viele Politiker, Fachleute und Laien damals neu und ungewohnt war - oder vielleicht gerade deshalb -, weckte sie reges Interesse. Inwischen ist viel über das Vorhaben 'Naturlandschaft Sihlwald' diskutiert worden und aus der Idee ist ein konkretes Projekt geworden.
 
 

Kernpunkt des Projektes 'Naturlandschaft Sihlwald' (im folgenden als 'NLS' abgekürzt) sind folgende Absichten und Ziele:
 
 

- Der Sihlwald soll künftig nicht mehr der Produktion von Holz dienen.

- Der Sihlwald wird langfristig voll und ganz seiner natürlichen Entwicklung überlassen. In einer Übergangszeit sind naturferne Bestände mit gezielten Massnahmen in Naturwald überzuführen.

- Der Sihlwald wird zu einem Ort des Naturerlebens für die Menschen

- Der Sihlwald erhält einen möglichst hohen Schutzstatus. Geschützt wird in erster Linie die Dynamik der Waldentwicklung. Ziel ist nicht ein Naturschutz des Bewahrens, sondern des Beobachtens und Mitverfolgens

- Die natürliche Walddynamik im Sihlwald wird Gegenstand ökolgischer und forstlicher Forschung

Aus all dem Geschriebenen, Gesprochenen, ideenhaft Formulierten oder wissenschaftlich Festgestellten ist es ein komplexes Unterfangen, kurz zusammenzufassen, was der philosophische oder ethische Hintergrund des Projekts ausmacht. Es sei hier, neben einer Reihe von Zitaten, trotzdem der Versuch gewagt, die wichtigsten Argumente zusammenzufassen:
 
  - Seltenheit: Dem menschlichen Wirken entzogenene Landschaften, wie Urwälder sind im mitteleuropäischen Raum fast vollständig verschwunden. Ursprüngliche Natur, wie sie sich ohne den Einfluss des Menschen präsentiert, gibt es kaum mehr. Eine Naturlandschaft wieder entstehen zu lassen ist vor diesem Hintergrund wichtig und wertvoll.

- Eigenwert des Waldes: Der Mensch ist geneigt hinter allem einen Nutzen zu sehen. Die Lebensgemeinschaft Wald hat aber ihre Existenzberechtigung ganz unabhängig von menschlichen Perspektiven. Im Sihlwald soll der Eigenwert des Waldes in höchstem Masse respektiert werden.

- Ethisches Argument: Die Natur, Natur sein zu lassen, ist der höchste Schutz und Respekt, den wir ihr zu kommen lassen können. Angesichts der flächendeckenden Beanspruchung der Landschaft durch den Menschen, ist es mehr als gerechtfertigt, bescheidene 1000 ha Wald sich selbst zu überlassen.

- Lernen von der Natur: Für die naturgemässe und nachhaltige Nutzung von Naturgütern, insbesondere des Waldes, sind Kenntnisse über die natürlichen Vorgänge und die natürliche Dynamik wichtig. Diese Beobachtungen können nur an sich selbst überlassenen Wäldern gemacht werden. Gerade das Entlassen eines ehemals genutzten Waldes in die freie Waldentwicklung ermöglicht interessante und wichtige Beobachtungen.

- Naturbewusstsein: Das Erfühlen und Erleben ungestörter Waldnatur, hinterlässt schöne und unvergessliche Eindrücke. Vorallem im städtischen Raum, wo der Kontakt zur Natur nichts alltägliches mehr ist, ist es von grosser Bedeutung, den Menschen in nächster Umgebung, die Faszination und Schönheit eines Waldes vor Augen zu führen. Das Projekt 'NLS' bietet dazu die besten Voraussetzungen. Indem wir wieder vermehrt lernen, über die Wunder der Natur zu staunen, gewinnen wir den nötigen Respekt vor der Schöpfung zurück, der nötig ist, sich für deren Schutz und Erhaltung einzusetzen.

Die folgenden Zitate sind im Zusammenhang mit dem Projekt 'NLS' gemacht worden und sollen dessen philosophischen und ethischen Hintergrund verdeutlichen:
 
  "Das Haben-Verständnis des menschlichen Daseins muss einem Seins-Verständnis weichen. Das kann vielleicht in der Beziehung zu den Natur-Arealen am ehesten beginnen." (Stadtforstmeister A. Speich: 55 Thesen zu "Wald und Gesellschaft", 1981)
 
 

"Es gibt tatsächlich so etwas wie eine Gleichheit zwischen Menschen und nichtmenschlicher Natur ... Von da her ist es ethisch geboten, von schützenswerten Rechten der nichtmenschlichen Natur zu sprechen und Regeln anzuwenden, welche in Analogie zu ethischen Regeln unter Menschen stehen.

Der Eigenwert nichtmenschlicher Natur kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, bzw. es ergibt keinen zureichenden Grund dafür, dass der Mensch etwas abschafft, das er nicht schaffen kann." (Prof. Dr. theol. H. Ruh, 1986)
 
 

"... aber im schönen Sihlwald sagt die Natur, sie wolle sich aus der forsttechnischen Bevormundung lösen. Sie will nicht mehr von Menschengeist dialektisch [die Gegensätze aufhebend] verplant sein. Ein neues dialogisches [im Zwiegespräch verbleibendes] Verhältnis zwischen Wald und Menschen bringt beiden gesundmachende Befreiung." (A. Speich in: "Nationalpark, 3/87)
 
 

"In einer eher deprimierenden Umweltsituation (vgl. Waldsterben, Bodenproblematik, aussterbende Arten) kann der Wald eine hoffnungsvolle Orientierungshilfe bieten. ...Der Wald ist das einzige noch verbleibende Gross-System mit einigermassen natürlichen Funktionsabläufen. Der Zeitgeist, der sich in der Landschaft materialisiert, macht allerdings auch vor dem Wald nicht halt. [Der Wald kann] mit der fortschreitenden Industrialisierung wegen seiner Eigenart nicht mithalten ... Die Waldwirtschaft kommt so in eine ganz besondere Verantwortung und darf vor allem auch die weiteren eminent wichtigen Bedeutungen des Waldes nicht übersehen. Altkantonsforstmeister Krebs warnte davor, aus einer finanziellen Krise der Forstwirtschaft in eine geistige hineinzuschliddern." (M. F. Broggi: Konzept Naturlandschaft Sihlwald, 1986)
 
 

"Der Wald ist grundsätzlich als Natur-Areal zu betrachten und nur mit besonderer Begründung als Wirtschaftsraum. Der Hauptwert des Waldes liegt in ihm an sich und nicht im abgeleiteten Nutzen. ... Der Wald hat eine wichtige Nicht-Nutzeigenschaft." (Stadtforstmeister A.Speich: 55 Thesen zu "Wald und Gesellschaft", 1981)
 
 

"Wieviel an sogenannter menschlicher Kultur kann der Natur zugemutet werden, ohne dass der Mensch als untrennbarer Teil von ihr seelischen und körperlichen Schaden leidet? Diese Grenze wurde in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts offensichtlich längst überschritten. Sichtbares Zeichen dieser Trennung von Mensch und Natur ist das, was die Soziologie "Entfremdung" nennt. ... In der Natur vermag der Mensch seine Quellen wieder zu erahnen, sie lässt ihn fühlen, dass er Teil eines grösseren Gewebes und von diesem abhängig ist. ... Der einzige Bereich, wo der heutige Mensch noch echte Entspannung findet, ist die Natur, und zwar Natur, die nicht seinen Stempel trägt, die nicht amelioriert, von Hecken und Unterholz befreit, von seinem Kampf, seinem nimmermüden Versuch, sie überall und immer zu beherrschen, Zeugnis gibt - er braucht unberührte Natur, die in sich ruht und ihn dadurch seine eigene Ruhe wiederfinden lässt." (B. Lohmeyer, Spezialarzt für Psychiatrie, 1986)
 
 

"Die Erkenntnis, welche die Menschen aus der Natur für ihre seelisch-körperlich-geistige Verfassung gewinnen können, fliesst von selbst, wenn man sich im Banne von alten, grossen Bäumen befindet. ... Sie geben jedem, der es suchen will, das richtige Mass für die Zeit. Förster lasst alte Bäume stehen!" (A. Speich: 55 Thesen zu "Wald und Gesellschaft", 1981)
 
 

"Der Mensch hat ohne Zweifel eine Sonderstellung in der Natur ... Aus diesem Umstand ist ein Verantwortungszusammenhang abzuleiten, in den der Mensch innerhalb der Natur gestellt ist. Er hat seine zerstörerischen Fähigkeiten zu zügeln, er hat aber auch eine Bewahrungsfunktion.

[Es] drängt sich die Forderung auf, dass der Beliebigkeit des Menschen im Umgang mit der nichtmenschlichen Natur Grenzen gesetzt sind. ... In Analogie zu der Idee der Rechtsstaatlichkeit ... ist es sinnvoll, von Rechten der nichtmenschlichen Natur zu sprechen, die zu schützen der Mensch ethisch verpflichtet ist." (Prof. Dr. theol. H. Ruh, 1986)
 
 

"Man kann hier den ursprünglichen Landeszustand - Wald - wiederherstellen. Im Sihlwald ist es vom Forst zum Wald kein schwieriger Weg. ... Zurücknahme der forstlichen Nutzung und Rückbau der technischen Eingriffe, bis zur Renaturierung des Flusslaufes stehen auf der Programmskizze. ... Der Wald braucht den Menschen nicht, wohl aber kann der ungebändigte grüne Hort den Menschen unserer Zeit helfen, ihre Gedanken zu ordnen. Holz für arge Notzeiten kann er allzumal noch liefern." (A. Speich in: "Nationalpark", 3/87)
 
 
 
 

Zusammenfassend kann die Bedeutung der "Naturlandschaft Sihlwald" so umrissen werden: - Dem Menschen ist sie treuhänderische Verpflichtung der nichtmenschlichen Natur gegenüber.

- Der Natur soll sie zur Entwicklung von nachhaltigem Eigenwert verhelfen, (was nicht anders als über den Menschen stattfinden kann).

- Dem Menschen hilft sie zur Selbstfindung, zur Bildung und zur Entspannung.

- Der nichtmenschlichen Natur ermöglicht sie freie Entfaltung.

- Dem Menschen ist sie Aufgabe, sich zu bescheiden, sich zurückzuziehen und einen Raum zu schaffen, wo nicht er allein bestimmt, was zu geschehen hat.
 
 
 
 
 
 

1.2 Entstehungsgeschichte
 
 
 
 

Die wichtigsten Eckdaten sollen die Entwicklung von der Idee zum Projekt 'NLS'aufzeigen:
 
 

1985
 
 

- August bis November: Informelle Kontakte mit Standortgemeinden, Kantonsforstamt, Gesamtstadtrat, Naturschutz- und Freiraumkommission der Stadt Zürich und mit Vertretern von Bund, Kanton, Forstdienst, Hochschulen und Naturschutz
 
 

1986
 
 

- Im März liegt das Konzept "Naturlandschaft Sihlwald" (NLS) vor; es wird u.a. der Arbeitsgruppe Waldbau des Schweizerischen Forstvereins vorgestellt

- April: positive Stellungsnahmen von Prof.Dr.Hannes Mayer, Wien, und der "Division de l'Environnement et des Ressources naturelles" des Europarates; Gesprächsrunde mit Sozialethikern und Psychologen

- Mai: provisorischer Start der "Waldschule Sihlwald"

- Juni: Studienfahrt mit Förstern des Sihlwaldes in den Bayerischen Wald, wo 7'000 ha Wirtschaftswald aus der Nutzung entlassen worden sind; ausführliche Aussprache mit dem Oberforstmeister des Kantons und seinen Mitarbeitern

- August: Genehmigung eines Studien- und Planungskredites von Fr.350'000.- durch den Stadtrat

- September: Präsentation des Vorhabens an der kantonalen Forstbeamtenkonferenz

- Dezember: in Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage äussert sich der Regierungsrat des Kantons Zürich negativ über das Vorhaben
 
 

1987
 
 

- März: Debatte im Gemeinderat im Zusammenhang mit der Interpellation Angst

- Mai: Orientierungsveranstaltung im Sihlwald mit Gemeindevertretern und anderen Gästen

- Juni: Vergebung der Studienaufträge NLS

- September: Orientierung kantonale Forstbeamtenkonferenz über Projekt und Sihlwaldschule

- November: Exkursion und Orientierung anlässlich 4. Seminar "Wald und Gesellschaft", veranstaltet durch Schweizerischer Forstverein, Fachgruppe Forstingenieure des SIA und Stapferhaus Schloss Lenzburg

- November: Begehung des Projektgebietes mit Vertretern des kantonalen und eidgenössischen Forstdienstes

- November: Wasserbauliche Exkursion mit Vertretern der kantonalen und eidgenössischen Amtsstellen für Wasserbau und Fischerei
 
 

1988
 
 

- Februar: Abschluss Versuchsbetrieb Sihlwaldschule; Vorlage für Weiterführung durch externe Expertengruppe

- Mai: Diskussion und Bereinigung der abgeschlossenen rechtswissenschaftlichen Studien zum Projekt; Darlegung der übrigen Arbeiten; Beginn der Rahmenplanung
 
 

1989
 
 

- Februar: Präsentation des Projekts vor erweitertem Vorstand des Zürcher Naturschutzbundes; dieser beschliesst Unterstützung

- Juni: erfolgreiche Restauration des historischen Sihlwaldfilmes von 1911

- Juli: entgegen Beschluss der Fachjury lehnt Regierungsrat des Kantons Zürich die Berücksichtigung des Projekts NLS im Rahmen der 700-Jahrfeier der Eidgenossenschaft ab

- Juli: Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) erteilt Bundesbeitrag von Fr.80'000.- an die Planungsarbeiten

- Oktober: Orientierung und Exkursion mit erweiterter Naturschutzgruppe des Zürcher Kantonsrates

- November: Verleihung des Landschaftsschutzpreises und des schweizerischen Gesamtpreises für Natur- und Landschaftsschutz der Conservation Foundation (London) in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Stiftung für Landschaftsschutz an Stadtforstamt für das Projekt NLS

- Dezember: Abschluss der ökologischen Wertanalyse; es liegen sämtliche Grundlagenstudien vor
 
 

1990
 
 

- Mai: Presseorientierung des Vorstandes des Bauamtes über Schwerpunkte der städtischen Legislaturperiode 1990-94, wozu auch NLS gehört

- Juni: Hauptversammlung und Exkursion der Naturforschenden Gesellschaft Zürich; Verabschiedung einer Resolution, in der dem NLS "volle Unterstützung" zugesagt wird

- Juli: der slowakische Urwaldexperte Ing.I.Voloscuk nimmt eine sechswöchige Studie über Möglichkeiten der Nutzungsentlassung im Sihlwald in Angriff

- August: Stadtrat bewilligt Fr.390'000.- als 2. Teil des Planungskredites; Antragstext und Würdigung im Protokoll

- September: Herbsttagung der Schweiz. Arbeitsgemeinschaft der kantonalen Beauftragten für Landschaftsschutz mit Exkursion im Sihlwald

- September: Studienreise von Mitarbeitern SFA und Gästen in die Natur- und Urwälder der Zentral- und Ostslowakei

- Oktober: Begehung der Grabung Schnabelhöfe im Sihlwald mit Archäologen

- Oktober: Expertenbeurteilung von Bächen im Sihlwald im Hinblick auf mögliches Gefährdungspotential bei Einstellen des Unterhaltes
 
 

1991
 
 

- März: Stadtrat nimmt Realisierung der Naturlandschaft Sihlwald in Legislaturziele 1990-1994 auf

- Juni: Ivan Voloscsuk, Direktor Nationalpark Hohe Tatra, CSFR, weilt für Waldbauplanung und Bestandesansprache zwei Wochen im Sihlwald

- Juni: Vorlage des Konzepts für eine Informations- und Bildungsstätte "Sihlwaldhäuser" von P. Egloff und C. Cattaneo

- August: Waldumgang des Stadt- und Gemeinderates im Sihlwald mit Beiträgen von Prof.Dr.F.Klötzli (Hauptreferat), Ingold Wildenauer (Schauspieler) und Dr.hc.A.A.Häsler

- Oktober: Präsentation Studienergebnisse betreffend Renaturierung der Seitenbäche im Sihlwald durch Dr.H.Weiss und Ing.Steiger (Büro Basler und Hofmann)
 
 

1992
 
 

- Mai: An der Delegiertenversammlung des Schweizerischen Bundes für Naturschutz (SBN) vom 23. Mai 1993 verfasst der SBN eine Resolution für einen Nationalpark Sihlwald, was zu einer Kontroverse mit den Gemeindepräsidenten der Anliegergemeinden führt

- November: Konstituierung einer 'Leitungsgruppe Sihlwald' aus Vertretern des Stadtforstamtes, des Schweizerischen und des Zürcherischen Naturschutzbundes (SBN, ZNB) und Vertretern der beiden Hochschulen.
 
 

1993
 
 

- Januar: Inkrafttreten des neuen Waldgesetzes des Bundes, welches in Art. 20.3 die Möglichkeit des Nutzungsverzichts ausdrücklich vorsieht

- März: Aussprache des Stadtrates mit Vertretern der betroffenen Gemeinden der 'NLS'

- März: Verfassen eines Grundlagenpapiers über die längerfristig zu erwartenden Auflagen im Projektperimeter

- Juni: Öffentliche Diskussion in Langnau über die 'NLS'
 
 

Nicht erwähnt in dieser knappen Auflistung sind eine lange Reihe von Zeitungsartikeln, Publikationen und Fachbeiträgen sowie zahlreiche weitere Exkursionen, Vorträge, Orientierungen etc. Die Zusammenstellung zeigt, dass von seiten des Stadtforstamtes grosse Anstrengungen unternommen wurden, Behörden, Verbände, Institutionen und Publikum in die neuesten Entwicklungen miteinzubeziehen.
 
 
 
 
 
 

1.3 Eignung Sihlwaldgebiet
 
 
 
 

Der Sihlwald eignet sich wie kaum ein anderes Gebiet für die Realisierung der dargestellten Ideen:

- Das gesamte Projektgebiet ist Bestandteil des Bundesinventars der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (Objekte Nr. 1306 "Albiskette-Reppischtal" und 1307 "Glaziallandschaft zwischen Lorzentobel und Sihl mit Höhronenkette").

- Im Gebiet des Sihlwaldes findet sich - neben grossflächigen mittleren Buchenwaldstandorten - eine Vielfalt von seltenen Waldgesellschaften.

- Als Reservat eignet sich der Sihlwald vor allem auch deshalb, weil es auf den weitverbreiteten und gutwüchsigen Buchenstandorten bisher in der Schweiz keine ausgesprochenen Naturwälder gibt und damit eine Lücke geschlossen würde.

- Der Sihlwald ist kein Urwald mehr, aber bezüglich Baumartenzusammensetzung doch sehr naturwaldähnlich; für die Rückentwicklung sind gute Voraussetzungen vorhanden.

- Es steht ein für das schweizerische Mittelland einmaliger Gross-grundbesitz von über 1'000 Hektaren zur Verfügung.

- Trotz unmittelbarer Nähe zur grössten schweizerischen Agglomeration und guter Erreichbarkeit kann, wer den Lärm der Sihltalstrasse zu überhören vermag, Abgeschiedenheit und Ruhe erleben.

- Buchenwaldgesellschaften sind auch bei Nicht-Bewirtschaftung von grösster Widerstandskraft gegen Schädlinge und Krankheiten.

- Die Zeit ist reif dafür: die Entfremdung von der Natur hat ein Mass erreicht, wo breite Bevölkerungsteile den Sinn und die Notwendigkeit des Projekts einsehen; Umwelterziehung ist ein Gebot der Stunde.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

1.4 Planungs- und Realisierungsschritte
 
 
 
 

Den Ablauf der Planungsarbeiten NLS zeigt die nachstehende, vereinfachte Darstellung:
 
 
 
 

Fig. C-1: Schematische Darstellung des Planungsablaufes 'NLS'
 
 
 
1.4.1 Konzept NLS
 
 

Im Auftrag des Stadtforstamtes Zürich und in Zusammenarbeit mit diesem wurde von dem BSU (Büro für Siedlung- und Umweltplanung, Zürich) ein Konzept für die NLS erarbeitet. In der illustrierten Broschüre, die im Frühjahr 1986 fertiggestellt wurde, sind Ausgangslage, Zielvorstellungen und Vorgehen skizziert.
 
 

Als Idee hinter dem Projekt steht "die naturethische Dimension des Projektes mit der Darstellung des Eigenwertes der Natur und der Erschliessung wertrationaler und emotionaler Dimensionen". Absicht ist es auch, von den bisherigen "Miniaturbiotopen", - "wobei es sich im allgemeinen um Landschaftsteile handelt, für die der Mensch wenig Nutzerinteressen entwickelte", - wegzukommen und einen Schritt vorwärtszutun. Es sollte zum ersten Mal in der Schweiz ein grösserer Wald ausgewiesen werden, "wo gleichzeitig Neubeginn, Waldverjüngung, Generationenwechsel, das Sterben und Vermodern von Bäumen zu beobachten" sein werden. Die NLS soll "eine wohltuende und bereichernde Kontrastwirkung zu der übrigen zivilisatorisch vollständig besetzten Landschaft vermitteln."
 
 

An konkreten Schritten werden im Konzept die Grundlagenstudien, weitere vertiefende Abklärungen, der Rahmenplan und eine Terminierung der Arbeiten dargestellt.
 
 

Rückblickend ist zu bestätigen, dass das im Konzept vorgeschlagene Vorgehen ohne nennenswerte Abstriche befolgt wurde.
 
 
 
 

1.4.2 Grundlagenstudien und ökologische Wertanalyse
 
 

In den Jahren 1987 und 1988 wurden folgende Grundlagenstudien über den Sihlwald bereit gestellt:
 
 

- Fauna: Beurteilt wurden folgende Tiergruppen:

- Fische und Wirbellose der Fliessgewässer

- Libellen

- Käfer

- Schmetterlinge

- Ameisen

- Amphibien und Reptilien

- Fledermäuse

- Wild

- Avifauna

- Vegetation (Pflanzensoziolog. Kartierung, Naturnähe, Waldfreie Standorte, Strukturvielfalt und Waldränder)

- Kulturhistorische Zeugen

- Erholung in der Naturlandschaft

- Forst- und jagdwirtschaftliche Nutzung des Sihlwaldes und ihre Auswirkung auf das Naturlandschaft-Projekt

- Wasserbau & Sicherheit

- Bericht zu allgemein rechtlichen Fragen
 
 

Im Anschluss an die Grundlagenstudien wurde 1989 eine ökologische Wertanalyse vorgenommen. Die Wertanalyse beruht auf den beiden Grundlagenstudien Vegetation (Naturnähe) und Avifauna.
 
 
 
 

1.4.3 Rahmenplan und Gestaltungspläne
 
 

Die Inhalte des Rahmenplans und der Gestaltungspläne können wie folgt umschrieben werden:
 
 

- Rahmenplan: gliedert Projekt NLS in 5 Massnahmenbereiche, die in gesonderten Teilplanungen festgeschrieben werden; informatives Dokument als Grundlage für Präsentationen und Diskussionen bei allen zuständigen Behörden und Fachgremien
 
 

- Waldplan: an kantonale Vorschriften über Waldwirtschaftspläne gebundene Beschreibung und Planung der Waldgestaltung während des nächsten Jahrzehnts im Detail und generell für einen Langzeitbereich bis ca. 30 Jahre
 
 

- Waldlehrhaus, Waldschule und Exkursionsbetrieb: konzeptionelle Planung für Umwandlung des Werkbetriebareals in eine Informationsstätte; Weiterführung Sihlwaldschule und Grundlage für Exkursionsbetrieb
 
 

- Sihlraum: Planung zur naturschützerischen Aufwertung des Flussraumes an der Sihl in Zusammenarbeit mit Amt für Gewässerschutz und Wasserbau; Verbesserung des Wissensstandes über die Wildbäche des Sihlwaldes
 
 

- Wissenschaftliche Langzeitforschung: Formulierung von Forschungszielen und Forschungsvorhaben für wissenschaftliche Langzeitforschung in Zusammenarbeit mit verschiedenen wissenschaftlichen Institutionen
 
 

- Raumplanerische Bezüge: Konzipierung von Massnahmen für die ökologische Vernetzung und Arrondierung des Projektes.
 
 
 
 

1.4.4 Weitere Realisierungsschritte
 
 

Die Realisierung des Projekts beginnt nicht erst mit der formellen Entlassung aus der Nutzung oder der Reservatsbildung. Gewisse Vorstufen und Vorarbeiten sind heute schon in Angriff genommen worden:
 
 

- Ein Postulat, das schon 1911 erhoben wurde, konnte 1986 in die Tat umgesetzt werden: die Sihlwaldschule hat ihren Betrieb aufgenommen. Sie kann als wichtige Vorstufe von Waldlehrhaus und Exkursionsbetrieb betrachtet werden.
 
 

- Ein ebenfalls schon ergrautes Begehren, es habe "an Stelle des gleichaltrigen Hochwaldes ... der ungleichaltrige in Femelschlag- oder Plenterform zu treten" (aus einem Protokoll des Stadtrates von 1925), wurde 1986 mit der konsequenten Umwandlung des Sihlwaldes in naturnahe, plenterartige Strukturen aufgenommen. Es wird damit auf die urwaldähnlichen, kleinflächig ungleichaltrigen Formen des Naturwaldes hingearbeitet.
 
 

- Zur Realisierung der NLS gehört auch die gedankliche und fachliche Vorbereitung der Mitarbeiter des Stadtforstamtes auf allen Stufen. Neben Anschauungsunterricht in ausländischen Naturwäldern (Bayerischer Wald, Slowakische Urwälder) wurde versucht Forstwarte, Förster, aber auch das Personal auf der Amtsstelle in Exkursionen, Vorträgen sowie in der Anleitung zur täglichen Arbeit mit der Denkweise vertraut zumachen, die für die Gestaltung der 'NLS' notwendig sein wird.
 
 

Mit jedem abgeschlossenen Gestaltungsplan wird jeweils eine nächste Runde der Realisierung eingeleitet und eine rasche Umsetzung der Ziele angestrebt. Trotzdem wird die Verwirklichung eher einem organischen Wachsen als einem einmaligen Schaffensakt gleichen.
 
 

1.5 Status NLS
 
 
 
 

In einer Resolution zur Naturlandschaft Sihlwald aus Anlass der Delegiertenversammlung des Schweiz. Bundes für Naturschutz (SBN) vom 23. Mai 1992 will sich der SBN dafür einsetzen den Sihlwald zum Nationalpark zu erklären. Damit wurde die Nationalpark-Diskussion zum Vorhaben'NLS' eröffnet. In einem internen Diskussionspapier zur Nationalparkfrage (Broggi M.) wird aufgezeigt, dass der Sihlwald und das Projekt 'NLS' die generellen, internationalen Anforderungen an den Status Nationalpark erfüllen könnte.
 
 

Die Diskussion um die Nationalparkfrage ist noch offen. Pro und contra werden noch gründlich gegeneinander abzuwägen sein. Im besagten Diskussionspapier werden unteranderem folgende Argumente für und gegen den Status 'Nationalpark' aufgeführt:

dagegen:

- Problem der Akzeptanz in der regionalen Bevölkerung mit Ängsten der Beschränkung der Erholungsmöglichkeiten

- Ankurbelung eines verstärkten Naturtourismus; Problem der Grössenverträglichkeit

dafür:

- Besserer Schutzstatus, verbesserte Möglichkeiten Störungen und Belastungen abzuwehren

- Breitere, national abgestützte Trägerschaft, Diversifikation bei der Finanzierung
 
 

Auch auf europäischer Ebene bestehen verschiedene Möglichkeiten, dem Projekt NLS zu offizieller Anerkennung zu verhelfen. Es sind dies: - drei, nach Strenge der Vorschriften abgestufe Kategorien des "Naturschutzdiploms des Euoparates",

- die Einrichtung des Sihlwaldes als Teil des "Europäischen Netzes biogenetischer Reservate" oder

- die Bezeichnung "Natürlicher und seminatürlicher Wald", eine Qualifizierung, die beim Europarat in Vorbereitung ist.
 
 

Jede staatliche oder zwischenstaatliche Anerkennung eines Reservats hat weitreichende Konsequenzen. Auf der einen Seite würde der anerkennenden Behörde ein Mitsprache- oder Mitbestimmungsrecht eingeräumt; der Handlungsspielraum der städtischen Behörden wäre damit eingeschränkt. Andererseits könnte - gerade durch eine gesamteuropäisches Auszeichnung - der Bekanntheitsgrad des Sihlwaldes über die Landesgrenzen hinaus derart zunehmen, dass der zu erwartende Besucherstrom gelenkt werden müsste.
 
 

Der Prozess der Planung und erst recht derjenige der Realisierung ist derzeit noch in vollem Gang und die Frage nach einem Prädikat für das "Endprodukt" deshalb noch verfrüht. Besser scheint es, vorerst eine geeignete Form für das Projekt zu finden und zu erproben, und erst im nachhinein abzuklären, ob sich das Reservat an der Sihl in eine der zur Verfügung stehenden Schutzkategorien einordnen lässt.
 
 

Seit der Gründung der 'Leitungsgruppe Sihlwald' (vgl. 1.2 Entstehungsgeschichte) wird an der Gründung einer Stiftung 'NLS' gearbeitet. Daran beteiligt sind neben der Stadt Zürich der SBN und der ZNB sowie die Naturforschende Gesellschaft Zürich und die Schweiz. Akademie der Naturwissenschaften als Gründungsmitglieder. Langfristig sollen aber auch die Gemeinden, Vertreter des Kantons und allenfalls des Bundes in der Stiftung vertreten sein. Damit soll der Sihlwald einen ersten Schutzstatus erhalten und das Vorhaben 'NLS' breit abgestützt werden.

1.6 Rechtliche Situation
 
 
 
 

Eine der Grundlagenstudien hatte zum Ziel, - aufgefächert in verschiedene Teilaspekte - das Projekt im Rahmen des geltenden (aber nicht unabänderlichen) Rechts darzustellen (R.MUNZ 1988, J.GOTTESMANN 1988, H.RAUSCH 1988). Nachstehend sind die wichtigsten Konsequenzen in den sehr ausführlichen Studien herausgegriffen.
 
 

Natur- und Heimatschutzrecht: Das Projekt steht in Einklang mit den Bestrebungen des eidgenössischen und kantonalen Natur- und Heimatschutzrechts. Es kann sich teilweise - z.B. was den Biotopschutz betrifft - auf Bundesrecht abstützen und deshalb Bundesbeiträge erwarten. Wie das Nationalparkgesetz belegt, stehen ausgedehnte Naturschutzreservate dem Bundesrecht nicht entgegen. Das Projekt liegt durchwegs in schutzwürdigen Landschaften von nationaler Bedeutung (Objekte 1306 und 1307 des BLN-Inventars), was den Naturschutzanliegen Vorrang vor wirtschaftlicher Nutzung einräumt. Objekte von Interesse werden auch im Inventar historischer Verkehrswege der Schweiz (IVS) ausgewiesen.
 
 

Raumplanungsrecht: Das Bundesgesetz über die Raumplanung ist dem Landschafts- und Naturschutz gegenüber positiv eingestellt und hält zu diesem Zweck ein nützliches Instrumentarium, insbesondere auch zur Bereinigung von entgegenlaufenden Interessen, bereit. Dabei werden nicht Lösungen gesucht, die für alle Zeiten Gültigkeit haben, sondern es wird die Landschaftsentwicklung als dynamischer Prozess verstanden. Im kantonalen Planungsrecht ist u.a. der Natur- und Heimatschutz verankert, sodass Bewahrung und Aufwertung der Landschaft ein wesentliches Anliegen der Raumplanung ist. Gesamthaft gesehen besteht von seiten des Raumplanungsrechts für das Projekt ein günstiges Klima.
 
 

Forstrecht: Grundsätzlich - nach Art.20 Abs.1 des neuen Waldgesetzes - ist der Wald so zu bewirtschaften, dass seine Funktionen nachhaltig erfüllt sind. Diese Nachhaltigkeit ihrerseits bezieht sich auf die im Zweckartikel formulierten Funktionen des Schutzes, der Wohlfahrt und des Nutzens; sie meint deshalb nicht nur und nicht unbedingt die Entnahme von Holz. Dem Projekt besonders günstig sind die weiteren Absätze 3 und 4 des gleichen Art.20:

- Aus ökologischen und landschaftlichen Gründen kann auf Pflege und Nutzung des Waldes verzichtet werden, soweit es Waldzustand und Walderhaltung erlauben (Abs.3)

- Es können "zur Erhaltung der Artenvielfalt von Fauna und Flora" Waldreservate ausgeschieden werden (Abs.4)

An die Schaffung von angemessenen Waldreservaten werden vom Bund Kostenbeiträge von bis zu 60% in Aussicht gestellt. Schliesslich findet sich in der Botschaft zum Waldgesetz eine Umschreibung des naturnahen Waldbaus, die genau auf die Zielsetzungen des Projekts und den bisher eingeschlagenen Weg der Umwandlung zugeschnitten scheint: "Der naturnahe, das heisst im Hinblick auf die Schaffung dauernd stufiger Strukturen sanfte und ökologisch ausgerichtete Waldbau trägt der Tier- und Pflanzenwelt sowie dem Natur- und Heimatschutz in hohem Masse Rechnung". Die übrigen Bestimmungen des neuen, dem Projekt positiv gesinnten Gesetzes, sind von untergeordneter Bedeutung.
 
 

Umweltschutzrecht: Ziel ist nicht die Erhaltung von Landschaften, wohl aber der Schutz derselben vor beeinträchtigenden Immissionen. Es setzt keine materiellen oder formellen Hindernisse dem Projekt entgegen.
 
 

Jagdrecht: im Kräfteviereck Jagd/Wildschutz/Schadenverhütung/ Walderhaltung versuchen das kantonale und vor allem das neue eidgenössische Jagdrecht ausgleichend zu wirken; dem Naturschutz wird dabei grosses Gewicht beigemessen. Dem Projekt ist das Jagdrecht als Ganzes mehr förderlich als hinderlich.
 
 

Landwirtschaftsrecht: ist für das Projekt NLS nur von untergeordneter Bedeutung und ohnehin - auch räumlich - nur am Rand wirksam.
 
 

Recht der Erholungsnutzung (Art.699 ZGB, Betreten von Wald; Bundesgesetz für Fuss- und Wanderwege): obwohl Erholungsnutzung seit Erlass des ZGB 1907 Gegenstand rechtlicher Regelungen ist, wird ihr nirgends der absolute Vorrang vor anderen Nutzungen wie Biotopschutz oder Walderhaltung zugestanden. In Konfliktsfällen wird Erholungsnutzung weichen müssen.
 
 

Recht der militärischen Nutzung: Die militärische Ausbildung ist Bundessache und deshalb mit der im Natur- und Heimatschutzrecht enthaltenen Rücksichtspflicht verbunden. Militärische Stellen bekunden in der Regel den Willen zur Schonung von Landschaft, Vegetation und Fauna.
 
 

Recht der wirtschaftlichen Landesverteidigung: In Art.19 Abs.1 ist dem Bund - unter dem Titel "Nutzung einheimischer Ressourcen" - das Recht gegeben, eine vermehrte Nutzung der Wälder anzuordnen. Zweifellos würden in einer akuten Notlage zuerst andere vorhandene Quellen ausgenutzt; ein Rückgriff auf Naturschutzgebiete ist aber nicht auszuschliessen und es wäre in einer Interessenabwägung dem einen oder anderen öffentlichen Interesse der Vorrang einzuräumen.
 
 

Recht über Verkehr und Energietransport: Es bestehen bereits verschiedene Transportlinien im Sihlwald (Sihltalstrasse, Sihltalbahn, Wasserversorgungsanlagen, Hochspannungsleitungen etc.), denen die Anliegen des Projekts nicht in die Quere kommen - eher schon umgekehrt. In kommenden Standortsabklärungen bzw. Realisierungen müsste aber aufgrund des Natur- und Heimatschutzrechts auf die Erfordernisse des Projekts verstärkt Rücksicht genommen werden.
 
 

Recht betreffend Wasser und Gewässer: Gewässer unterstehen der Aufsicht von Bund und Kanton: alle Eingriffe im Bereich derselben sind also im Einvernehmen mit den zuständigen Behörden vorzunehmen. Erste Kontakte mit dem kantonalen Amt für Gewässerschutz und Wasserbau haben nicht nur keine Bedenken gegen das Projekt NLS, sondern gar grosse Bereitschaft zur Zusammenarbeit geweckt.
 
 

Zivil- und Strafrecht: Weder aus der Kausalhaftung (Zufügung von Schaden) noch aus der Grundeigentümerhaftung ist bei der Realisierung des Projekts ein erhöhtes Risiko für den Waldbesitzer zu erwarten. Ein gewisses Restrisiko kann allerdings nicht ausgeschlossen werden und besteht - wahrscheinlich in noch grösserem Masse - auch bei bewirtschafteten Wäldern. Für eine natürlich entstehende Gefahrensituation kann der Grundeigentümer nicht haftbar gemacht werden; zu empfehlen wäre jedoch, das Publikum auf allfällige Gefahren aufmerksam zu machen.
 
 

In den Schlussfolgerungen der Studie MUNZ antwortet der Autor auf die (rethorische) Frage, - ob es nicht eine rechtliche Pflicht des Staates gäbe, "für weitestmögliche Beseitigung aller, auch der von Natur aus bestehenden, Gefahrenquellen zu sorgen?" -, mit den folgenden Schlussätzen: "Die Erkenntnis wächst, dass bei jedem Eingriff in die Natur Zurückhaltung geboten ist, auch wenn der Zweck anerkennenswert sein mag. Die Natur korrigieren heisst oft, neue, nicht vorhergesehene Risiken schafffen. Das Recht ist im Begriffe, sich diesen neuen Einsichten anzupassen."

1.7 Stimmen zum Projekt 'NLS'
 
 
 
 

Das aussergewöhnliche, in der Schweiz und - berücksichtigt man Tieflage und Stadtnähe - in Europa einzigartige Vorhaben hat lebhafte Reaktionen und Diskussionen hervorgerufen. In der Presse erschienen Schlagzeilen wie: "Urwald" von Zürich?", "Urwald im Sihltal: Wir sind begeistert!" oder "Kanton gegen 'Urwald' im Sihltal" etc. etc. Geäussert haben sich - fast immer zustimmend - auch Experten aus dem In- und Ausland. Hier einige Ausschnitte:
 
 

"Ueber Ihre Absicht, im Sihlwald ein grösseres Totalreservat zu schaffen, habe ich mich sehr gefreut. Von den 45 bereits bestehenden Reservaten [in der Schweiz] liegt keines auf dem Sihlwald entsprechenden Standorten. Abgesehen von der Hochschulnähe, welche dem Reservat einen ganz besonderen Wert geben wird, dürfte es sich für die verschiedensten Untersuchungen und Demonstrationen ganz besonders eignen."

(Prof. Dr. H. Leibundgut, 29.April 1986)
 
 

"Ein Anteil von etwa einem Drittel an sog. "Edel"-Laubbaumarten wie der Esche, dem Bergahorn, dem Spitzahorn, der Bergulme, aber auch der Linden, ist ganz aussergewöhnlich und in Mitteleuropa ausserordentlich selten. Es gibt derzeit kein vergleichbares bestehendes oder derzeit geplantes Schutzgebiet der Grösse des Sihlwaldes auf solch optimalen Standorten und mit einer so günstigen Baumartenmischung wie den Sihlwald...

Die vorhandene Mischungsform und Struktur der Bestände sind auch Garantie dafür, dass selbst in Steillagen bei einer Einstellung der Nutzung die Schutzwaldeigenschaften nicht verloren gehen.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass es praktisch keine Bestände im Sihlwald gibt, die nicht unverzüglich aus der Nutzung entlassen werden könnten...

Die Verwirklichung des Projekts "Naturlandschaft Sihlwald" wäre anbetrachts der besonderen Qualität dieses Waldgebietes ein wertvoller Beitrag zum Schutz des gesamteuropäischen Naturerbes."

(Dipl. Forstwirt Dr. Hans Bibelriether, Generalsekretär der Föderation der Natur- und Nationalparke Europas, 20.November 1989)
 
 

"Buchenreiche Wälder sind auch bei teilweiser oder gänzlicher Nicht-Bewirtschaftung entomologisch und pathologisch nicht gefährdet, ...

Das vorgestellte Konzept Naturlandschaft Sihlwald wird uneingeschränkt befürwortet. Der Sihlwald eignet sich in einmaliger Weise zu einem differenzierten Ausscheiden von Naturwaldreservaten bis Naturwald-Wirtschaftswäldern.

Die Naturlandschaft Sihlwald kann ein Meilenstein für ein grundlegendes Umdenken der Bevölkerung, der Wirtschaft und der Politiker in Richtung auf eine ökologisch eingestellte, nachhaltige Lebensweise (Wirtschaftspolitik) werden, und so zu einer qualitativen Ueberlebensstrategie für kommende Generationen beitragen."

(Prof. Dr. Hannes Mayer, Institut für Waldbau, Universität für Bodenkultur, Wien; 22.April 1986)
 
 

Eine positive Stellungsnahme "der ersten Stunde" erhielt der Stadtrat auch von der Abteilung "Umwelt und natürliche Ressourcen" des Europarates im April 1986. Der Leiter dieser Instanz, Dr. J.-P. Ribaut, ist der Überzeugung, "que les espaces réellement 'naturels' doivent se multiplier". Vier Jahre später bekundet auch die Naturforschende Gesellschaft in Zürich in einer Resolution ihre Absicht, das Vorhaben Naturlandschaft Sihlwald zu unterstützen.
 
 

Selbstverständlich wurden auch negative Stimmen laut, insbesondere in der Antwort des Regierungsrates auf die Anfrage Dr. Werner Hegetschweiler (vom 17.Dezember 1986). In den Kapiteln, die sich direkt mit dem Projekt NLS befassen, sollen auch kritische Argumente angeführt werden.
 
 

Das Projekt "Naturlandschaft Sihlwald" ist zweifellos ein Kind unserer Zeit: es musste zuvor so viel Landschaft verschandelt, mussten so viele Kilometer Hecken ausgeräumt und so viele Tiere ihres Lebensraumes beraubt werden, um den Wunsch nach einer Naturlandschaft in einem Masse zu wecken, dass gesellschaftliche, wirtschaftliche und nicht zuletzt politische Widerstände überwunden werden konnten. Darüber, wie sich kommende Generationen über die Naturlandschaft an der Sihl freuen oder ärgern werden, können wir heute nur Spekulationen anstellen.
 
 

2. Künftige Wirkungen und Leistungen des Waldes
 
 

2.1 Besonderheiten des nicht bewirtschafteten Waldes
 
 
 
 

Manchen Anliegen des Projekts NLS wie Erholung, Entspannung, Bildung oder Naturbeobachtung könnte auch mit einem extensiv bewirtschafteten oder mit einem Naturwald, dessen Entwicklung gelenkt würde, genüge getan werden. Mit der Schaffung eines Waldes indem auf jegliche Nutzung verzichtet wird, werden aber bestimmte, weiterführende Anliegen verfolgt.
 
 

Im Vordergrund stehen die naturethischen Gedanken (vgl. Kapitel C-1.1) wonach dem Wald ein Eigenwert zugestanden wird. Die Waldnatur wird sich beim Ausbleiben jeglicher Gestaltungsmassnahmen ganz anders entwickeln als in einem noch so extensiv bewirtschafteten Wald. Eine Waldlandschaft, die von der Natur in Freiheit gestaltet wurde, wird eine ganz andere Atmosphäre und Stimmung vermitteln als wir dies von einem Wirtschaftswald gewohnt sind. Daneben ermöglicht der Verzicht auf waldbauliche Eingriffe im Sihlwald aber noch weitere Perspektiven.
 
 

Dank Beobachtungen in den der menschlichen Beeinflussung entzogenen Waldflächen wird es möglich sein, unsere Kenntnisse der natürlichen Lebensräume und Lebensvorgänge zu erweitern. Die dynamischen Gleichgewichte des Naturwaldes werden sich nach und nach auf einer immer grösser werdenden und schliesslich die Gesamtheit des Sihlwaldes umfassenden Fläche einstellen. Allerdings sind die Umweltverhältnisse - auch abgesehen von zivilisationsbedingten Einflüssen - nicht mehr die gleichen wie vor Urzeiten. Was letztlich - nach einem genügend langen Zeitraum in der Grössenordnung von 100 bis 200 Jahren - zu beobachten sein wird, ist der Zustand des Naturwaldes, wie er sich unter den dann herrschenden Bedingungen darbieten wird. Es wird sich daraus ein natürliches Eichsystem ergeben, anhand welchem Umweltveränderungen erfasst werden können.
 
 

Aus Naturwaldbeobachtungen kann theoretisches Wissen gewonnen werden, das sich nutzbringend in die waldbauliche Arbeit umsetzen lässt. Diese Ueberzeugung äusserte Stadtforstmeister Meister schon 1912, als er forderte, sich bei der Waldbewirtschaftung von der Biologie des Urwaldes leiten zu lassen. Praktisch verwertbare Erkenntnisse aus der Urwaldforschung wurden dem modernen Waldbau allerdings erst nach dem zweiten Weltkrieg zuteil. Pionier dieser Forschungsrichtung ist Prof. Dr.H.Leibundgut, für den "die gründliche Kenntnis der natürlichen Lebensvorgänge des Waldes" die "biologische Voraussetzung für einen rationellen Waldbau" darstellt. Dieses Wissen vermittle vor allem die Urwaldforschung. Unser heutiges waldbauliches Wissen beruhe noch "grossenteils auf praktischen Erfahrungen und Forschungen, welche in naturfremden und künstlichen Wirtschaftswäldern durchgeführt wurden". Die Urwaldforschung rechtfertige sich aus der Erkenntnis, dass "erwünschte natürliche, also kostenlose Vorgänge möglichst zu erhalten und zu fördern, unerwünschte dagegen rechtzeitig zu erkennen und im richtigen Zeitpunkt durch geeignete Massnahmen auszuschalten" seien (Zitate aus H.LEIBUNDGUT: Europäische Urwälder der Bergstufe, 1982). Europäische Urwald- oder Naturwaldobjekte finden sich aber nur in der Bergstufe und nicht in Höhenlagen, wie sie etwa dem schweizerischen Mittelland und Voralpenrand entsprechen (von den 100 ha Urwald oder urwaldähnlichen Beständen in der Schweiz liegen alle über 1'400 m ü.M.). Die waldbauliche Forschung hat also ein vitales Interesse an einer Reservatsfläche wie dem Sihlwald; schade nur, dass man eine solche nicht schon vor 50 oder 100 Jahren eingerichtet hat.
 
 

Von Bedeutung für die Entwicklung eines Naturraumes ist auch der Umstand, dass mit der Einrichtung eines Reservats eine Ruhe- und Rückbildungszone geschaffen werden kann. Es sind auf lange Sicht keine Motorsägen, keine Traktoren oder Entrindungsmaschinen mehr zu hören und die entsprechenden Zu- und Wegfahrten mit PKW entfallen. Auch das äusserliche Bild wird sich ändern: Fahrspuren in den Beständen werden einwachsen, Holzbeigen verschwinden und Beschriftungen - wo sie nicht entfernt wurden - verblassen. Gleichzeitig wird man eine ganze Reihe von Wegen und Strassen "zurückbauen" oder einwachsen lassen. Ein letztes Anliegen wird es sein, die Besucherströme so zu lenken, dass sie Kernzonen von Reservaten eher um- als durchströmen. Erst in einem, dem menschlichen Einfluss entledigten Waldteil, wird sich echter Naturwald entwickeln können.
 
 

Der Aufbau der Reservatsfläche wird sich in Schritten und im Einklang mit dem Erreichen der Strukturziele im Bestandesaufbau vollziehen. Als bald zu realisierendes Nahziel ist ein aus der Nutzung entlassenes Areal von etwa der Hälfte der Gesamtwaldfläche - also rund 500 Hektaren - ins Auge zu fassen. Mittelfristig, d.h in 10 bis 30 Jahren, sollten dann gegen vier Füntel des Sihlwaldes - den Sihlraum und die offenen Flächen miteingeschlossen - der freien Waldentwicklung überlassen werden. Eingriffe wären dann nur noch aus Rücksicht auf benachbarte Nutzungen oder aus Gründen der Forschung bzw. Erhaltung von kulturellen Denkmälern notwendig (vgl. Kapitel DII-2.3).
 
 
 
 
 
 

2.2 Waldbesucher und -besucherinnen
 
 
 
 

Der Sihlwald hat eine lange Tradition als Ort der Entspannung und Ruhe, der sportlichen Betätigung oder des gesellschaftlichen Wanderns und Lagerns. Er zieht - wie in Kapitel B-3.8 dargestellt - Jahr für Jahr eine grosse Zahl von Besuchern und Besucherinnen an. Zweifellos wird der Sihlwald und seine Randgebiete auch in Zukunft eminent wichtig sein, um das Bedürfnis der Menschen nach Natur und Erholung zu befriedigen.
 
 

Die Ansprüche der Waldbesucher und -besucherinnen werden sich je nach Tätigkeiten - worunter so unterschiedliche Aktivitäten zu verstehen sind wie Spazieren, Natur Beobachten, Lagern, Velofahren, Herumtollen, Meditieren, sich Bilden, Sport Treiben, an Massenveranstaltungen Teilnehmen usf. - nicht problemlos mit den naturethischen und naturschützerischen Zielen des Projekts in Einklang bringen lassen. Im Rahmen der Realisierung sind deshalb Lenkungs- oder Entflechtungsmassnahmen vorzusehen. Es wird aber nicht zweckdienlich sein, gewisse Erholungsnutzungen, die sich mit den Zielen der Naturlandschaft schlecht vertragen, einfach zu verbieten. Statt dessen sind die Einrichtungen - namentlich die Erschliessung - so auszugestalten, dass in bestimmten Teilgebieten störende Tätigkeiten erschwert sind.
 
 

Generell sollte im Bereich des geschlossenen Waldes und in den eher abgelegenen Partien von Albiskamm und Sihlufer mit geeigneten Massnahmen auf eine Verlagerung der Erholungstätigkeiten im nachstehenden Sinn hingewirkt werden:

- von lauter zu ruhiger Betätigung

- von Sport zu Beobachtung, innerer Einkehr oder Meditation

- von Fortbewegung mit Fahrzeug/Sportgerät (mit Ausnahme von Rollstühlen) zu Gehen, Marschieren oder Laufen

- von schneller Bewegung zu langsamer

- von Waldbesuch in Grossgruppen zu Kleingruppen, Familien, Paaren
 
 

Untragbar für fast jede Art von Erholungstätigkeit - und nicht nur für diese - ist die übermässige Lärmimmission durch die Sihltalstrasse (in erster Linie) und durch Flugverkehr (andererseits). Langfristiges Ziel ist es, das Gebiet des Sihlwaldes von jeglicher Belastung durch Verkehrslärm zu befreien.
 

2.3 Bildung und Öffentlichkeitsarbeit
 
 
 
 

Ein wichtiges Ziel des Projektes 'NLS' ist es, im Sihlwald den Waldbesucherinnen und -besuchern ein vertieftes Wald- bzw. Naturerlebnis zu ermöglichen. Dazu wird es nötig sein die Sinne der Menschen zu schärfen und sie anzuleiten die, für den flüchtigen Beobachter unsichtbaren, faszinierenden Feinheiten des Waldes wahrzunehmen.
 
 

Mit der Eröffnung der Waldschule Sihlwald im Jahr 1986 wurde dazu ein erster Schritt unternommen. Als Ergänzung zu diesem, an Schulkinder gerichtetes Angebot, soll mit der Schaffung einer Informations- und Bildungsstätte in den Gebäulichkeiten des ehemaligen Werkbetriebes Sihlwald auch den Erwachsenen die Möglichkeit für ein intensives Naturerlebnis geboten werden. Zielpublikum eines solchen 'Naturzentrums Sihlwald' wären Tagestouristen, die für eine Wanderung oder einen Spaziergang in den Sihlwald kommen, sogenannte Bildungstouristen, die mit der Vorstellung kommen etwas über den Wald, die Natur lernen zu können, dann aber auch Schulklassen der Oberstufe und nicht zuletzt Fachleute der Forst- und Naturwissenschaften für Tagungen und Seminare.
 
 

Die Vermittlung von Informationen kann über Ausstellungen, Exkursionen, Waldführungen, ein entsprechend gestaltetes Erfahrungs- und Erholungsgelände oder aber über Publikationen erfolgen. Auf Beschriftungen und Tafeln im Wald soll konsequent verzichtet werden.
 
 

Die Planung des Bereichs Bildung erfolgt im Gestaltungsplan "Waldlehrhaus, Waldschule, Exkursionsbetrieb". Ein Konzept dazu liegt im Bericht "Sihlwaldhäuser" von P. Egloff und C. Cattaneo vor.
 
 
 

2.4 Forschung
 
 
 
 

In der Naturlandschaft Sihwald wird nach Realisierung des Projekts ein weites Forschungsfeld für Walddynamik, Botanik, Fauna, ökologische Systeme, Archäologie, Wasserbau u.a.m. zur Verfügung stehen. An erster Stelle wird es von höchstem Interesse sein, die Rückentwicklung des Wirtschaftswaldes zu einem Naturwald zu verfolgen. Diesbezügliche Veränderungen werden sich jedoch nur langsam und auf lange Zeit bemerkbar machen. Es wird den kommenden Generationen vorbehalten sein, die Entstehung eines Naturwaldes mit urwaldartigen Strukturen wissenschaftlich nachvollziehen zu können.
 
 

Alle Forschungsvorhaben sollten sich an gewisse Grenzen halten, die durch die Natur des Projekts NLS gegeben sind. Abzulehnen sind Forschungsarbeiten, die:

- die dauernde Installation von Apparaten oder Einrichtungen im Wald benötigen

- häufige Zu- und Wegfahrten verursachen

- im Wald gut sichtbare Beschriftungen, Bezeichnungen oder Markierungen erfordern

- nicht direkt oder indirekt mit den Anliegen des Naturlandschaft-Projekts zu tun haben

- die natürliche Entwicklung des Oekosystems Wald in irgendeiner Weise beeinflussen.
 
 

Zu den Forschungsbereichen, die in einem engen Zusammenhang zum Projekt NLS stehen, gehören: - Bereich Wald: pollenanalytische Untersuchungen auf Feuchtstandorten; Auswirkung von freier Waldentwicklung in ehemals bewirtschafteten Wäldern, Entwicklung Bestandesstruktur; Dynamik von Wachstumsvorgängen, Verjüngung, Stabilität/Instabilität, Baumartenanteilen, Totholz und Waldrändern; Alterung von Waldbäumen

- Fauna: Bestandeserhebung von Indikatorarten (Baummarder, div. Vögel etc.), Wiederansiedlung, Revieruntersuchungen, Besiedlung Wildbäche

- Vegetation: Entwicklung Bodenflora, Verbreitung Zeigerpflanzen

- Kulturgeschichte: Erkundung von alten Wegen und Wüstungen

- Wildbachverbau: Auswirkung Rückbau auf Geländestabilität, Erosion, Bewuchs

- Wasserbau: grosses Forschungsgebiet in Zusammenhang mit der Renaturierung der Sihl.
 
 
 

2.5 Holzentnahme
 
 
 
 

Es ist Ziel des Projekts, die klassiche, heute nicht mehr wirtschaftliche Nutzfunktion im Laufe der Umstellung auf Naturwald zugunsten einer ganzen Reihe von anderen Aufgaben zurückzustellen und schliesslich ganz auf die Holzproduktion zu verzichten. Im folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob ein solches Vorgehen zu verantworten sei und mit welchen Folgen allenfalls zu rechnen ist.

Vorerst gilt es klarzustellen: der Erholungswert - wie er aus der Studie der Universität Zürich auch für den Sihlwald abgeleitet werden kann (Kapitel B-3.8) - überwiegt die chronisch defizitäre Holznutzung um ein Vielfaches. Selbst die praktisch kostenlose Aeufnung in weiterer Zukunft von einem Holzvorrat von 500 bis 600 m3/ha verspricht als Brennstoffreserve mit einem Energieaequivalent von rund 120'000 bis 150'000 t Heizöl eine weit grössere Kapitalbildung als konventionelle die Holznutzung.
 
 

In einem Bericht der Vereinten Nationen ("European Timber Trends and Prospects to the Year 2000 and beyond", New York 1986) wird gesamteuropäisch bis zum Jahr 2000 ein Holzversorgungsdefizit von jährlich 20 bis 35 Mio m3 Holz aus den Trends hochgerechnet. Es bestehen allerdings - so der Bericht - auch verschiedene Möglichkeiten, der Holzmangellage durch Einschränkung des Verbrauchs (verbesserte Ausnutzung von Altpapier und Abfallholz), durch gesteigerte Importe von ausserhalb Europa (tropische Holzplantagen) und durch höhere Nutzungen in Europa selbst (hohe Vorratshaltung, Aufforstungen in "Wald-Entwicklungsländern" wie Frankreich, Irland, England, Spanien, Portugal) Herr zu werden. Im UN-Bericht wird deshalb - trotz der aus den Trends errechneten Unterversorgung - nicht mit einem akuten Holzmangel im kommenden Jahrhundert gerechnet: Produktion und Verbrauch können sich - mit Hilfe der dargelegten und um die Preisgestaltung erweiterten Massnahmen - in einem breiten Rahmen flexibel anpassen. Die Waldbesitzer müssen sogar - zumindest bis ins Jahr 2000, aber wahrscheinlich auch darüber hinaus - mit gleichbleibenden oder noch weiter gedrückten Preisen rechnen.
 
 

In einem grösseren Rahmen wird es deshalb ziemlich belanglos sein, ob das Holz aus dem Sihlwald - sei es als Energiespender, sei es als Nutzuholz - genutzt wird oder nicht. Die Autoren des Berichts kommen letztlich zum Schluss, dass die sozialen Waldfunktionen schneller wachsen werden als die Nachfrage nach dem Produkt Holz.
 
 

Die UN-Studie geht bei ihren Szenarien von Rahmenbedingungen aus, die grössere Krisen (Kriege, akutes Waldsterben oder Energieverkanppung) ausser Acht lassen. Im Hinblick auf solche - leider denkbare - Vorgänge käme aber einer grösseren Vorratshaltung, wie sie das Projekt NLS mit sich bringt, nicht geringe Bedeutung zu.
 
 

Betroffen von einer Drosselung oder Einstellung der Holznutzung wären in erster Linie die lokalen Abnehmer, die als Akkordanten tätigen Landwirte der Umgebung und das Personal der beiden Sihlwaldreviere. Auf letztere wird im Rahmen der Arbeitsplanung zurückzukommen sein (Kapitel D-III-7.1 und 7.2). Mit der allmählichen Reduktion der Holzverkäufe werden sich die lokalen Abnehmer abfinden und die entsprechenden Umstellungen in einer Uebergangsphase vornehmen müssen. Den landwirtschaftlichen Akkordanten, die zur Hauptsache zur Bewältigung der Holzernte herangezogen werden, kann im Rahmen des Projekts NLS leider kein Ersatz geboten werden: es wird an jenen Aufgaben fehlen, für die sie Kennntisse und Ausrüstung besitzen.