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1 EINLEITUNG


Die Nahrung spielt im Leben eines jeden Organismus eine zentrale Rolle und beeinflusst seine Fitness (Reproduktion) in entscheidendem Masse. Ein Tier wird deshalb versucht sein, die gegebene Nahrungssituation möglichst vorteilhaft zu nutzen und seinen Nahrungserwerb möglichst optimal den Umweltbedingungen anzupassen. Räumliches und zeitliches Vorkommen einer Nahrungsressource, ihre Voraussagbarkeit und die Qualität der Nahrung haben einen entscheidenden Einfluss auf die Nahrungssuchstrategie und letztlich auf die Art und Weise, wie ein Tier sein Sozialverhalten organisiert (CLUTTON-BROCK & HARVEY 1978, MacDONALD 1983, beide zitiert in HOFER 1988) (Abb. 1).

Voraussagbarkeit Qualität Räumliches und zeitliches
der Nahrung der Nahrung Vorkommen der Nahrung


Frassmuster


Räumliche Nutzung des Habitats


Populationsdichte


Soziale Organisation

Abb. 1 Einfluss der Nahrung auf die soziale Organisation einer Tierart

Der europäische Dachs (Meles meles L.) ist bezüglich seiner Nahrungswahl sehr flexibel. Er gilt in Europa (ausser Schottland) als Generalist, der sich eines breiten Nahrungsspektrums bedient. Da vermutlich saisonal die profitabelste und am besten verfügbare Nahrung genutzt wird, bezeichneten KRUUK & DeKOCK (1981), MOUCHES (1981), HENRY (1984), STOCKER & LUEPS (1984), HOFER (1988) und LAMBERT (1990) den Dachs als Opportunist. Das Nahrungsspektrum dieser Tierart wurde schon in zahlreichen Untersuchungen analysiert. Dabei konnte festgestellt werden, dass sich sowohl die geographischen Unterschiede als auch die Jahreszeiten stark auf die Nahrungswahl der Dachse auswirken. Neben diesen Einflüssen spielen aber vor allem auch die Habitatstruktur und die Wetterbedingungen eine nicht zu vernachlässigende Rolle bei der Nahrungswahl dieser Tierart. Die Mechanismen, wie die Habitatstruktur und das jeweilige Nahrungsangebot die Raumnutzung der Dachse beeinflussen, sind noch weitgehend unbekannt. Vermutet wird, dass die soziale und räumliche Struktur der Dachse mit abnehmender Voraussagbarkeit und zunehmender Heterogenität des Habitats weniger starr organisiert ist.

In der Mehrzahl der bisherigen Untersuchungen zur Ernährung des Dachses in Europa wurde unabhängig von der Methode eine grosse Bedeutung der Regenwürmer gefunden. In Schottland stellten KRUUK und seine Mitarbeiter (KRUUK 1978, KRUUK & PARISH 1981) sogar die Hypothese auf, dass Dachse Regenwurmspezialisten seien, da die Regenwürmer als einzige Nahrungskomponente das ganze Jahr über in grösseren Mengen unabhängig von deren Verfügbarkeit aufgenommen wurden. Sie konnten in ihrem Untersuchungsgebiet auch eine Korrelation zwischen der Regenwurm-Biomasse pro Hektare mit der Dichte und Gruppengrösse der Dachse nachweisen. Ausserdem verteidigen die dort lebenden Dachse ein Territorium, dessen Grösse von der Verteilung der Regenwurmpatches abhängt. Sie leben in hohen Dichten in sozialen Gruppen (bis zu 12 adulten Tieren), sogenannten Clans, zusammen.

Untersuchungen in anderen Gebieten haben aber gezeigt, dass dieses Phänomen nicht verallgemeinert werden darf. Die Verfügbarkeit der Regenwürmer ist eng mit den klimatischen Bedingungen verknüpft: Im Winter, wenn der Boden teilweise gefriert bzw. im Sommer austrocknet, ziehen sich die Würmer aufgrund des Wasserdefizits in tiefere Bodenschichten zurück und sind dadurch nicht mehr für den Dachs verfügbar (NORDSTRÖM 1975, zitiert in HOFMANN & STUBBE 1993). Dieser gräbt nämlich die Würmer nicht aus, sondern frisst nur die nachts an die Oberfläche vorstossenden Individuen (LÜPS & KUHN-KLEIN 1983). Da die schottischen Untersuchungsgebiete im Einflussbereich eines stark ozeanisch geprägten Klimas liegen, sind die Regenwürmer übers ganze Jahr in grossen Mengen verfügbar.

In Südeuropa spielen die Regenwürmer in der Dachsnahrung eine untergeordnete Rolle, da sie nur in geringem Masse verfügbar sind. Dafür treten andere Nahrungskategorien, wie z.B. Früchte, aber auch Insekten (Italien) und Kaninchen (Spanien) in den Vordergrund (Italien: KRUUK & DeKOCK 1981, PIGOZZI 1988, Spanien: MARTÍN-FRANQUELO & DELIBES 1985). In Südengland (HARRIS 1981, NEAL 1948, SHEPHERDSON et al. 1990), Frankreich (MOUCHES 1981, HENRY 1983, LAMBERT 1980), Schweden (SKOOG 1970), Deutschland (HOFMANN & STUBBE 1993) und der Schweiz (STOCKER & LÜPS 1984, KISTLER & MISTELI 1984) bilden die Regenwürmer in der Zeit ihrer höchsten Verfügbarkeit (Ausgang des Winters und Frühjahr) die Hauptbeute. In Zeiten, wo diese Beute nur in beschränktem Masse zur Verfügung steht, tritt dann regional verschiedene ‘Alternativnahrung’ in Erscheinung. Diese meist pflanzliche Nahrung ist einerseits stark gebietsspezifisch und andererseits saisonabhängig. Das breitere Nahrungsspektrum der Dachse in Mitteleuropa scheint sich sowohl auf die soziale Organisation als auch auf die räumliche Nutzung auszuwirken: Die Populationsdichten sind kleiner und die hier lebenden Dachse zeigen grössere Streifgebiete (GRAF 1988) als in Schottland (KRUUK 1978).

Im Rahmen des von Karin Hindenlang als Dissertation durchgeführten Dachsprojektes soll das Wald-Habitat Sihlwald mit dem Landwirtschaftsgebiet Knonaueramt verglichen werden. Es wird vermutet, dass die genutzten Nahrungstypen im Habitat Wald homogener verteilt, konstanter verfügbar und besser voraussagbar sind als im Landwirtschaftsgebiet (HOFER 1988). Wie sich diese Gegebenheiten konkret auf die Nahrungssuchstrategie der Dachse auswirken, ist heute weitgehend unerforscht. Das Dachsprojekt soll einen Beitrag zur Klärung dieser Frage leisten und die räumliche und soziale Organisation der Dachse in Abhängigkeit von der Nahrungsverfügbarkeit und der individuellen Nahrungssuchstrategie untersuchen (HINDENLANG in Vorb.).

Die genaue Kenntnis des Beutespektrums und dessen Nutzung ist als Grundlage für diese Untersuchung unerlässlich. Das Wissen über das vom Dachs genutzte Nahrungsspektrum ist im Habitat ‘Wald’ allerdings noch gering. MOUCHES (1981) und LAMBERT (1990) konnten bisher eine zunehmende Wichtigkeit der Insektennahrung im Wald gegenüber dem Landwirtschaftsgebiet feststellen. Die Aufgabe dieser Arbeit wird es deshalb sein, diesen noch wenig bekannten Lebensraum ‘Wald’ einerseits auf die vom Dachs genutzte, pflanzliche Nahrung hin zu untersuchen und andererseits das Angebot der genutzten Nahrungstypen zu bestimmen. Daraus werden sich Hinweise zur Nahrungssuchstrategie der Dachse ergeben. Das tierische Nahrungsspektrum wird von MINDER (in Vorb.) untersucht.


Fragestellungen
Nutzung

Angebot


Hypothesen und Erwartungen
Nutzung

Angebot

Vergleich Nutzung - Angebot


Die in dieser Arbeit verwendeten Begriffe werden in Anhang 1 (S. 38) erläutert.






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