4 DISKUSSION
4.1 Diskussion der
Methoden
4.1.1 Kotanalyse
Bei der Beurteilung der Ergebnisse muss beachtet werden, dass
jede wissenschaftliche Methode ihre Vor- und Nachteile hat und die Wirklichkeit
nur bis zu einem gewissen Grad zu widerspiegeln vermag. Im Vergleich zur
Mageninhaltsanalyse (LUEPS et al. 1987) ist die Kotanalyse praktisch besser
durchführbar und hat neben der grösseren Anzahl verfügbarer
Stichproben den riesigen Vorteil, dass das Tier dabei am Leben bleibt. Der
grösste Nachteil der Kotanalyse ist die ungenaue, quantitative Erfassung
der einzelnen Nahrungsbestandteile:
- Man weiss nicht, ob eine bestimmte Beute
vollständig aufgenommen wurde.
- Die einzelnen
Beutetypen werden in unterschiedlichem Masse verdaut (PUTMAN 1984, zitiert in
HOFMANN & STUBBE 1993). Zudem variiert vermutlich die Verdaulichkeit der
Nahrung je nach der aufgenommenen Menge und der Zusammensetzung.
- Man kann nicht davon ausgehen, dass eine
Kotprobe einer Magenfüllung entspricht, da Dachse pro Nacht 2-3 mal koten
(RYSZKOWSKII et al. 1971, zitiert in KRUUK 1987) und somit eine Beute in
mehreren Proben auftaucht.
Die Probleme bei der Interpretation der Kotanalyse machen sich
auch in den verschiedenen Auswertungsverfahren bemerkbar: Eine
früher häufig angewandte und auch heute noch beim Dachs praktizierte
Methode ist die Ermittlung der Auftretensfrequenz (Präsenzindex)
einer bestimmten Beute (s. S.10). Sie ist vor allem für Vergleiche der
Nahrung von Tieren verschiedener Gebiete bzw. zu verschiedenen Zeiten
nützlich. Allerdings hat sie zwei entscheidende Nachteile: Zum einen wird
häufig gefressene Beute deutlich unterschätzt, da pro Probe nur ein
Stück oder Exemplar der jeweiligen Art angenommen wird. Zum anderen wird
kleine Beute überbewertet, da keine Grössenunterschiede einberechnet
werden. Da der Dachs aber einerseits oft grosse Mengen von ein und demselben
Beutetyp aufnimmt, andererseits die Grössenunterschiede der gefressenen
Nahrung stark variieren, wurde ein weiteres Auswertungsverfahren
(Abundanzindex) angewendet: KRUUK & PARISH (1981) schlugen ein
Verfahren der Volumenschätzung vor. Hierbei wird, wie in der im Sihlwald
angewandten Methode, für jede Nahrungskomponente in einer Probe das
aufgenommene Volumen bestimmt. Dies geschieht bei KRUUK & PARISH (1981)
durch Multiplikation der Anzahl der Reste mit dem geschätzten Volumen der
jeweiligen Beute. Obwohl diese Methode in letzter Zeit auch von anderen Autoren
angewandt wurde (z.B. CIAMPALINI & LOVARI 1985, PIGOZZI 1988, SHEPERDSON et
al. 1990, HOFFMANN & STUBBE 1993, MOUCHES 1981, HARRIS 1984), ist sie mit
Fehlern behaftet: Im Prinzip funktioniert diese Methode nur, wenn die Anzahl und
die Durchschnittsvolumen der gefressenen Nahrungstypen bekannt sind. Bei grosser
Beute (Aas) sowie bei unzählbaren Nahrungstypen (Getreide, Pilze, Gras...)
können die in den Koten auftretenden Reste nicht einem in seiner Gesamtheit
gefressenen Beutetyp zugeordnet werden. Man kommt also um eine grobe Berechnung
der Volumina nicht herum. Unzureichend ist aus-serdem die Annahme einer
konstanten Kotvolumengrösse, welche bei der Bestimmung der aufgenommenen
Regenwurmanzahl aus deren Borsten vorausgesetzt wird (MINDER mündl.). Es
konnte nämlich eine signifikant unterschiedliche Grösse der Kote in
den Sommer- und Herbstmonaten (Juli-Oktober) im Vergleich zu den restlichen
Monaten festgestellt werden (T-Test, P=0.03, n=88).
KISTLER & MISTELI (1984) bestimmten in ihrer Untersuchung
das aufgenommene Frischvolumen mit Hilfe von Stichproben. Ob die Kotproben
für ein solches Verfahren genügend homogen sind, ist zu bezweifeln.
Noch kritischer zu betrachten sind allerdings die sehr geringen Mengen mit
welchen gerechnet wird, denn jeder Fehler wird bei den Umrechnungsvorgängen
vervielfacht. Im Gegensatz zu dem von KRUUK & PARISH (1981) vorgeschlagenen
Verfahren, berücksichtigen KISTLER & MISTELI (1984) aber die Tatsache,
dass das Volumen nicht-zählbarer Bestandteile (s. S.9) nicht geschätzt
werden kann. Diese Bestandteile werden bei ihrer Methode getrocknet und anhand
von Umrechnungsfaktoren (Verhältnis von Trocken- zu Frischgewicht bzw.
unverdaubare zu verdaubaren Anteilen) wird das aufgenommene Gewicht der
jeweiligen Beute bestimmt.
Die Analyse der Kote vom Sihlwald wurde in Anlehnung an das
von KISTLER & MISTELI (1984) beschriebene Verfahren durchgeführt. Um
die oben erwähnten Ungenauigkeiten durch die Stichprobennahme zu vermeiden,
wurde in dieser Arbeit jeweils der gesamte Kot analysiert. Ausserdem wurde mit
Frischvolumen gearbeitet, um die Vergleichbarkeit mit anderen Untersuchungen
(welche die Methode von KRUUK & PARISH 1981 wählten)
sicherzustellen.
Die grösste
Kritik der im Sihlwald angewandten
Methode liegt bei der Umrechnung der oft sehr geringen Trockengewichtswerte
(einige Gramme bzw. Zehntelsgramme) in Frischvolumen. Die Frage ist berechtigt,
ob mit dieser Methode nicht eine Genauigkeit angestrebt wird, die aufgrund der
genannten Grundmängel (s. S.25) der Kotanalyse überhaupt nie erreicht
wird. Als weiterer Kritikpunkt ist die unbekannte Verdaubarkeit bei Nüssen
und Pilzen zu sehen. Das gezielte Fütterungsexperiment mit Dachsen aus dem
Tierpark in Goldau (s. S.10) ergab eine Unterbewertung bei der
Frischvolumenbestimmung der Haselnüsse. Die Dachse sind nämlich
fähig, Nüsse praktisch vollständig zu ‘schälen’.
Die unverdaubare Schalenmenge lässt deshalb keine Rückschlüsse
auf die tatsächlich aufgenommene Menge zu. Bei den Baumnüssen und
Pilzen, deren aufgenommenes Frischvolumen direkt aus dem Trockengewicht
berechnet wurde (keine Berücksichtigung des verdaubaren Anteils), fand
vermutlich ebenfalls eine Unterbewertung der aufgenommenen Menge statt. Eine
Bestimmung des verdaubaren Anteils aus dem Fütterungsexperiment war leider
nicht möglich, da die gebotenen Champignons kaum angerührt wurden, und
eine Trennung der unverdaubaren Baumnussresten von jenen der Haselnüsse
nicht mehr möglich war. Neben diesen zu geringen Volumenangaben für
pflanzliche Bestandteile fand auch bei der Bestimmung des aufgenommenen
Regenwurmvolumens eine Unterbewertung gegenüber den Untersuchungen, die
nach KRUUK & PARISH (1981) arbeiteten,
statt
[8]. Bei der prozentualen Betrachtungsweise
werden sich dadurch die methodisch bedingten Unterschiede wieder angleichen.
Inwiefern die Methodenwahl die Ergebnisse beeinflusst, ist
schwierig abzuschätzen. Die diesbezüglich von KISTLER & MISTELI
(1984) durchgeführten Versuche, brachten aber keine nennenswerten
Unterschiede der Ergebnisse hervor, sodass ein Vergleich mit Untersuchungen,
welche nach KRUUK & PARISH (1981) gearbeitet haben, gerechtfertigt
erscheint.
Bestimmung
des Nahrungsangebots
Die Verifizierung der Bestandesgrenzen im Gebiet selbst war
nicht immer ganz einfach, da die Erhebungen für die Bestandeskarte
(HUEHNERWADEL et al. 1993) bereits rund zehn Jahre zurück liegen. Zur
Abgrenzung der Bestände wurden somit oft weitere Anhaltspunkte (Wegnetz,
Bäche, etc.) beigezogen. Die Kartierungen neueren Datums (1994) waren zur
Zeit dieser Untersuchung noch nicht veröffentlicht.
Kritikpunkte:
Der
Zeitpunkt, an welchem die Angebotsbestimmung der Kirschen, Brombeeren und
Haselnüsse erfolgte, wurde durch qualitative Beobachtungen bestimmt. Die
individuellen Fruchtzeitpunkte der untersuchten Nahrungstypen führte dabei
zu Unsicherheiten in der Wahl des geeigneten Aufnahmezeitpunktes. Auch bei der
Kartierung der Kirschbäume erschwerten individuelle Blühzeitpunkte die
Arbeit, sodass die Liste der erfassten Bäume vermutlich nicht
vollständig ist.
Kirschen: Die Angebotsbestimmung der Kirschen
basiert auf der Annahme, dass ein linearer Zusammenhang zwischen dem Alter bzw.
dem Brusthöhendurchmesser und dem Kirschenangebot besteht. Da die
phänotypische Plastizität der einzelnen Bäume sowohl in der
Wuchsform als auch in der Fruchtmenge zu weit grösseren Ungenauigkeiten
führt, lässt sich diese Vereinfachung rechtfertigen.
Brombeeren: Bei der Bestimmung der Anzahl Beeren pro
Fläche ist darauf hinzuweisen, dass längst nicht alle Individuen
(verstanden als Mutterpflanze mit Ausläufern) Brombeeren aufweisen. Vor
allem einzeln vorkommende Pflanzen bilden meistens keine Beeren aus. Diese
einzeln wachsenden Brombeerstauden scheinen sich rein vegetativ zu vermehren.
Eine Ueberschätzung des Beerenangebots ist deshalb wahrscheinlich, da
die Beeren nur auf Flächen ausgezählt wurden, wo der Boden
vollständig von dieser Pflanze bedeckt war.
Ob
die gewählte Anzahl Stichproben für jeden Bestandestyp ausreicht, ist
schwierig abzuschätzen. Eine Verdichtung des Stichprobennetzes in einem
ausgewählten Bestandestyp (s. S.12) brachte allerdings keine
signifikanten Aenderungen der Resultate (Mann-Whitney U-Test, P=0.23,
n=21).
Obwohl diese Kritikpunkte nicht zu vernachlässigen sind,
lässt sich sagen, dass das Gesamtangebot der untersuchten Nahrungstypen
dadurch kaum beeinflusst wurde.
4.1.3 Vergleich Nutzung-Angebot
Die in Abb. 13/14 dargestellten Resultate der Angebotsmengen
beruhen auf der Annahme, dass die nicht untersuchten Waldbestände (rund
63%) ein mittleres Angebot der untersuchten Bestände aufweisen. Inwiefern
diese Annahme mit den tatsächlichen Verhältnissen übereinstimmt,
ist schwierig abzuschätzen, da keine Anhaltspunkte zum Angebot jener
Bestände bestehen. Die volumetrische Angebotsbestimmung (s. Anhang 8, S.45)
war für den Vergleich mit der ebenfalls in Millilitern gemessenen Nutzung
unumgänglich. Diese mehrere Umrechnungen erforderliche Angabe beinhaltet
aber die Gefahr, dass sich Ungenauigkeiten bei jedem Umrechnungsschritt
vervielfachen. Ausserdem sagt das volumetrische Angebot nichts über die
Anzahlen aus, welche gerade bei den Regenwürmern von entscheidender
Bedeutung sein könnten (s. unten).
4.2 Beurteilung der Nahrungsnutzung
Die Bedeutung der Regenwürmer in der Nahrung der
Sihlwalder Dachse ist mit 78% des Gesamtvolumens von enormer Wichtigkeit. Die
dominierende Stellung der Regenwürmer ist in Mitteleuropa vor allem aus
Waldhabitaten bekannt, wo die Anteile an der Gesamtnahrung zwischen 43% und 53%
betragen (HENRY 1983, MOUCHES 1981, LAMBERT 1990, HOFMANN & STUBBE 1993).
Bei KRUUK & PARISH (1981) aus Schottland, welche den Dachs als
Regenwurmspezialisten bezeichneten, betrug der Regenwurmanteil an der
Gesamtnahrung 54% (ohne Blätter 59%). Die Autoren berichten, dass die
Würmer praktisch in allen Kotproben mit über 50% vorhanden waren.
Diese Konstantheit, mit welcher die Regenwürmer in
Schottland auftraten, konnte im Sihlwald nicht festgestellt werden (längst
nicht alle Kote wiesen über 50% Regenwürmer auf). Die Würmer
treten hier vor allem im
Winter,
Frühjahr und
Herbst
in Erscheinung (Abb. 4). Anfangs
Sommer geht dann der Konsum der
Regenwürmer durch die Dachse deutlich zurück (Abb. 6). HOFMANN &
STUBBE (1993) führen diesen Rückgang auf die verminderte
Oberflächenaktivität der Würmer zurück, da ein Wasserdefizit
des Bodens diese veranlasst, tiefere Schichten aufzusuchen. Im feuchten Sihlwald
ist ein Austrocknen des Waldbodens während den heissen Sommermonaten
unwahrscheinlich
[9] und nach NABULON (in Vorb.)
bleibt die Biomasse der Würmer übers ganze Jahr konstant. Einzig die
Anzahl der Individuen nimmt im Sommer ab, d.h. es sind weniger, dafür
grössere Würmer verfügbar. Der sommerliche Rückgang der
Regenwürmer in der Dachsnahrung könnte deshalb mit den längeren
Suchzeiten für diesen Nahrungstyp erklärt werden. Diese Hypothese
bedarf aber noch weiterer Untersuchung. KISTLER & MISTELI (1984)
erklären den Rückgang der Regenwurmnutzung mit einer Präferenz
für Alternativnahrung. Gezielte Fütterungsexperimente wären
notwendig, um diese Vermutung zu testen.
An Stelle der Regenwürmer tritt im Sommer neben weiterer
tierischer Nahrung (v.a. kleine Wirbeltiere, Insekten und Schnecken) pflanzliche
Alternativnahrung. Damit steigt auch die Diversität des Nahrungsspektrums
an (Abb. 8). Im Herbst erreicht die Anzahl genutzter Nahrungstypen ihren
Höhepunkt, was vermutlich auf die grosse Vielfalt reifer pflanzlicher
Nahrungstypen zurückzuführen ist. Ab August gewinnen die
Regenwürmer wieder an Bedeutung in der Dachsnahrung. Eventuell lässt
sich diese erneute Zunahme der Regenwurmnutzung mit dem Anlegen von Fettreserven
für die Winterruhe erklären (Abb. 11), denn die v.a. im Herbst
genutzten Früchte und Beeren beinhalten rund einen Drittel weniger Energie
als die Regenwürmer (s. Anhang 7, S.44). Aufgrund der vom Sihlwald
vorliegenden Resultate muss die von HOFMANN & STUBBE (1993) aufgestellte
Hypothese bezweifelt werden: Sie vermuten, dass die kohlenhydratreiche
pflanzliche Nahrung eine wichtige Grundlage für die Anlage der Fett- und
damit Energiereserven darstellt, von denen im Winter gezehrt wird. Darüber
hinaus vermutet SKOOG (1970) sogar, dass das Fehlen pflanzlicher Nahrung im
Herbst die Konstitution der Dachse so weit schwächt, dass die Fortpflanzung
im darauffolgenden Frühjahr gefährdet ist.
Die pflanzliche Nahrung ist im Sihlwald mit 7% der
Gesamtnahrung verschwindend klein. Einzig HENRY (1984) berichtet von einer
ebenso geringen Nutzung der pflanzlichen Nahrungstypen. Wie die verschiedenen
Untersuchungen aus Mittel- und Westeuropa zeigen, scheint die pflanzliche
Nahrung stark gebietsspezifisch und habitatabhängig zu sein: In
Süd-england (SHEPHERDSON et al. 1990, SKINNER & SKINNER 1988) wird in
erster Linie Getreide, v.a. Hafer und Mais gefressen. LAMBERT (1990) aus
Frankreich berichtet von Mais und Eicheln als Alternativnahrung und im Osten
Deutschlands (HOFMANN & STUBBE 1993) wurden neben Früchten und Obst
ebenfalls sehr viele Eicheln gefunden. Aus der Schweiz (STOCKER & LUEPS
1984, KISTLER & MISTELI 1984) wird von Früchten (Kirschen und
Zwetschgen) und Mais in grösseren Mengen berichtet.
In den Koten der Dachse im Sihlwald konnten ebenfalls
Früchte gefunden werden. Diese treten aufgrund ihrer kurzen
Verfügbarkeitsdauer nur eine beschränkte Zeit in den Koten auf, dann
allerdings in grossen Mengen (Abb. 3). Bereits ab Juli stehen den Dachsen die
Kirschen zur Verfügung, bei welchen es sich vermutlich um
Wildkirschen handelt (eine Unterscheidung anhand der Kirschsteine war nicht
möglich
[10]). Beim Vergleich mit der
Untersuchung am Gurten bei Bern (KISTLER & MISTELI 1984) wurde deshalb der
volumenunabhängige Präsenzindex verwendet: Im Habitat Sihlwald konnte
zur Reifezeit (Juli, August) eine deutlich geringere Nutzung der Kirschen
(Frequenz Juli/Aug.: 17%) gegenüber dem grösstenteils
landwirtschaftlich geprägten Gebiet am Gurten (Frequenz Juli/Aug.: 92%)
festgestellt werden.
Ab August steht den Dachsen eine neue Nahrungsquelle zur
Verfügung: das Obst. Obwohl vor allem im angrenzenden nördlichen und
westlichen Teil des Untersuchungsgebietes viele Obstbäume stehen, konnten
zur Reifezeit einzig in einer Kotprobe Aepfel nachgewiesen werden.
Während KISTLER & MISTELI (1984) im Landwirtschaftsgebiet mit
reichlichem Obstangebot keine Hinweise auf einen Verzehr von Obst finden
konnten, berichten dafür HOFMANN & STUBBE (1993) von grossen,
aufgenommenen Mengen während der Verfügbarkeit (45% Aepfel und 46%
Birnen). Diese Daten basieren allerdings auf einer Ueberbewertung der Obstmenge,
da bei der verwendeten Methode (KRUUK & PARISH 1981) von der Annahme
ausgegangen wird, dass die ganze Frucht verzehrt wird, wenn ein Kern in der
Kotprobe auftritt. Die im Winter (Januar/Februar) in den Koten auftretenden
Aepfel (Abb. 4) stammen höchstwahrscheinlich von einem Komposthaufen oder
einer Wildfütterungsstelle.
Die nur in einer Kotprobe gefundenen Zwetschgen, werden
vermutlich häufiger genutzt als dies die Ergebnisse dieser Untersuchung
zeigen (Abb. 7). Einerseits wurde mir von Landwirten bestätigt, dass 1996
nur relativ geringe Erträge erzielt wurden, und andererseits könnte
diese geringe Nutzung mit dem Fehlen von Kotproben aus dem Monat September
(grösste Reifezeit) erklärt werden. Die Verfügbarkeit von
Zwetschgen wäre vor allem im nördlich angrenzenden Siedlungsgebiet, wo
einige Zwetschgenbäume in unmittelbarer Nähe des Waldrandes stehen,
sehr gross.
Neben diesen zeitlich auf wenige Wochen begrenzt
verfügbaren Früchte, dauert das Brombeeren- und
Nussangebot einige Monate. Obwohl die Brombeeren im Gegensatz zu den
Nüssen teilweise in grossen Anzahlen gefressen wurden, ist der
Volumenanteil beider Nahrungskategorien in den Koten verschwindend klein (Abb.
7). Aus anderen Untersuchungen wird von einer ähnlich geringen Bedeutung
sowohl bei den Brombeeren (SHEPHERDSON et al. 1990, HOFER 1988, CIAMPALINI &
LOVARI 1985) als auch bei den Nüssen (KISTLER & MISTELI 1984, MOUCHES
1981) berichtet.
Mais und
Pilze werden vom Dachs übers ganze
Jahr in sehr geringen Mengen genutzt. Obwohl die Verfügbarkeit der reifen
Maiskolben auf den Feldern auf eine kurze Zeit (September/Oktober)
beschränkt ist, tauchte diese Beute übers ganze Jahr in den Koten auf
(Abb. 7). Die Tatsache, dass im Sihlwald Wildschweine mit Mais gefüttert
werden, aber auch Maisköder für den Dachsfang auslagen, erklärt
das ganzjährige Vorkommen von Mais in den Koten. In den Wintermonaten
könnte dieser Nahrungstyp allerdings auch von untergepflügten
Maisresten auf den Feldern stammen (NEAL 1996, KRUUK & PARISH 1985). Obwohl
nach HINDENLANG (mündl.) 50% der 1996/97 telemetrierten Dachse (n=6) den
Wald verliessen, konnte Anfang Oktober nur geringfügig mehr Mais in den
Koten nachgewiesen werden. Getreide scheint allgemein in Waldhabitaten von
untergeordneter Bedeutung zu sein und ihr Anteil an der Gesamtnahrung liegt
unter 2% (MOUCHES 1981, HOFMANN & STUBBE 1993, HENRY 1984). Im Gegensatz
dazu werden in Landwirtschaftsgebieten teilweise grosse Mengen an Getreide
gefressen, wie dies z.B. Untersuchungen aus England zeigen (SHEPHERDSON et al.
1990 / SKINNER & SKINNER 1988): 30% bzw. 32% der Gesamtnahrung. Pilze wurden
in anderen Untersuchungen (KRUUK & PARISH 1981, KRUUK & DeKOCK 1981,
CIAMPALINI & LOVARI 1985, MOUCHES 1981, HENRY
1984
[11]) ebenfalls nur in geringen Mengen
nachgewiesen.
Aufgrund der angewandten Methode kann nicht ausgeschlossen
werden, dass weitere pflanzliche Nahrungstypen aufgenommen wurden, wie z.B.
Erdbeeren oder Heidelbeeren. Da ihre Samen zu klein, d.h. kleiner als 1,3 mm
sind, gingen diese während des Auswaschungsvorganges (s. S.8) verloren.
Allerdings wurden solche Vermutungen bei einer stichprobenartigen Untersuchung
des Feinmaterials aus dem 0,5 mm-Sieb nicht bestätigt. Fehlend in der
Dachsnahrung im Sihlwald sind die Eicheln, welche in anderen Untersuchungen
(KISTLER & MISTELI 1984, STUBBE & HOFMANN 1993, LAMBERT 1990) teilweise
in grossen Mengen nachgewiesen werden konnten. Da die Eichen v.a. an warmen,
trockenen Standorten tiefer Lagen vorkommen (HUEHNERWADEL et al. 1993), lassen
sich praktisch keine Bäume im feuchten Sihlwald finden.
Das Auftreten weiterer Baum-, Strauch- und Krautsamen
in den Koten fand in den Untersuchungen anderer Autoren keine Erwähnung.
Dies wohl hauptsächlich, weil diese Samen entweder bei der Nahrungsaufnahme
unabsichtlich als ‘Humus’ mit in den Darm des Dachses gelangen, oder
aber durch die Kotsammlung (die Trennung der Kote von der umgebenden
Streuschicht ist nicht immer ganz einfach) zum Untersuchungsmaterial gelangten.
Trotzdem können die gefundenen Samen interessante Auskünfte geben:
Bei den Baumsamen traten in erster Linie Fichtensamen
in den Koten auf (Frequenz: 35%). Die grosse Anzahl dieser Samen könnte ein
Hinweis darauf sein, dass der Dachs seine Nahrung eher in Mischwald- bzw. in
Fichtenbeständen findet. Die sehr selten in den Koten aufgetretenen
Bucheckern (Frequenz: 5%) scheinen während der Kotsammlung zum
Untersuchungsmaterial gelangt zu sein, denn sie erschienen immer
vollständig unverdaut in den Kotproben. Die auf Artniveau bestimmten
Strauch- und Krautpflanzensamen können interessante Hinweise
über die vom Dachs besuchten Habitate liefern. Neben der beiläufigen
Aufnahme der Krautsamen während der Nahrungssuche wird vermutet, dass diese
in erster Linie im Fell der Dachse haften bleiben und anschliessend beim Putzen
(nach NEAL & CHEESEMAN 1996 säubern die Dachse ihr Fell wie Katzen) in
den Verdauungstrakt gelangen. Auch spezielle Haftvorrichtungen einiger
Pflanzensamen deuten auf ein Hängenbleiben im Fell hin.
Sowohl der Löwenzahn (Taraxacum officinale) als
auch der kriechende Hahnenfuss (Ranunculus repens) sind keine Waldarten
(s. Anhang 4, S.41). Diese Arten wachsen in erster Linie auf Fettwiesen bzw. auf
Aeckern und an Wegrändern auf feuchtem, lehmigem Boden (LAUBER & WAGNER
1993). Da grössere bewirtschaftete Lichtungen bzw. Wegränder die
Wuchsbedingungen für diese Arten ebenfalls erfüllen, kann nicht mit
Sicherheit auf einen Habitatwechsel geschlossen werden. Auch der Holunder
(Sambucus sp.), welcher auf lichte Standorte angewiesen ist (LAUBER &
WAGNER 1993), findet man auf speziellen Standorten innerhalb des Waldes.
Zusammenfassend kann anhand der besprochenen Arten bzw. Gattungen zwar nicht mit
Bestimmtheit darauf geschlossen werden, dass die Dachse das Habitates Wald
verlassen. Aber die Häufigkeit des Vorkommens dieser Arten bzw. Gattungen
an bestimmten Standorten lässt ein Umherstreifen der Dachse in jenen
Habitaten vermuten (vgl. Ausblick, S.34).
Bei der auf Absolutwerten basierenden Berechnung der
durchschnittlich aufgenommenen Energiemengen pro Kot (Abb. 11), konnte
aufgrund methodisch bedingter Unterschiede (s. S.26) kein Vergleich mit
anderen Untersuchungen angestellt werden: Beim Vergleich des für einen 10
kg schweren Dachs erforderlichen Grundmetabolismus von 510 kcal. pro Tag
(IVERSEN 1972, zitiert in KRUUK 1978) mit dem Energiegehalt pro Kot, muss der
Tatsache Rechnung getragen werden, dass Dachse 2-3 mal pro Nacht koten (s.
S.25). Unter der Annahme, dass die pro Nacht von einem Dachs abgegebenen Kote
etwa denselben Energiegehalt aufweisen, das heisst, dass der Energiegehalt pro
Kot mit 3 multipliziert werden darf, wiesen einzig 3 Kote aus dem Monat April
eine dem Grundmetabolismus entsprechende Energiemenge auf. Dieser
Grundmetabolismus, für dessen Deckung 169 Würmer pro Tag notwendig
wären (KRUUK 1978), muss allerdings in Frage gestellt werden. Im Sihlwald
wurde die erforderliche Anzahl Regenwürmer nämlich nur in zwei Koten
gefunden und ausserdem braucht der Dachs für seine nächtlichen
Aktivitäten weit mehr Energie als dies der Grundmetabolismus
verlangt.
4.3 Beurteilung des Nahrungsangebots
Die neben den Wald- und Lichtungsrändern untersuchten
Bestandestypen Laub-, Laubmisch- und Fichtenwald, verteilen sich ganz
unterschiedlich über den gesamten Sihlwald (s. Anhang 11, S.48). Die
Verhältnisse in den einzelnen Beständen sind aber keineswegs homogen.
Je nach Standort, Umweltbedingungen, historischen Ereignissen und menschlichen
Einflüssen, sind vor allem in der Krautschicht grosse Unterschiede
erkennbar. Generelle Aussagen über das Angebot eines Bestandes beziehen
sich deshalb immer auf einen Mittelwert dieses kleinflächigen
Standortmosaikes.
Die Lichtbedürftigkeit (LANDOLT, 1977) der untersuchten
Nahrungstypen (Kirschen, Brombeeren und Nüsse) führt zu einem
erhöhten Angebot an den Wald- bzw. Lichtungsrändern gegenüber dem
Waldesinnern (Abb. 12). Für die nicht auf ihr Angebot hin untersuchten
Nahrungsbestandteile (Zwetschgen, Aepfel, Baumnüsse, Weizen und Mais) gilt
sogar, dass sie nicht innerhalb des Waldes vorkommen und normalerweise
absichtlich vom Menschen angepflanzt und gepflegt werden (Ausnahme: Himbeeren,
welche im Sihlwald aber nur sehr selten angetroffen wurden). Das geringere
Frucht-, Beeren- bzw. Nussangebot pro Pflanze im Waldesinnern im Vergleich zu
den Uebergangshabitaten, ist auf die verminderte Vitalität der Individuen
zurückzuführen. Die unter reduzierten Lichtverhältnissen
wachsenden untersuchten Arten können ihre Ressourcen nur beschränkt in
die Fortpflanzung investieren.
Im Waldesinnern weist der Bestandestyp Mischwald das
grösste Angebot an den untersuchten Nahrungstypen, sowie an
Regenwürmern (NABULON in Vorb., s. Anhang 8, S.45) auf. Einzig die
Brombeeren zeigen in den Fichtenbeständen ein höheres Angebot.
Eine Erklärung für das zum Teil flächendeckende Vorkommen der
lichtbedürftigen Brombeeren in den Fichtenbeständen ist neben
standörtlichen und umweltbedingten Gegebenheiten wohl in der Geschichte der
Waldbewirtschaftung zu suchen. Kahlschläge sorgten für genügend
Licht, sodass sich die Brombeere ausbreiten konnte. Da sich diese Pflanze
vegetativ fortpflanzen kann, überlebt sie unter erschwerten Bedingungen,
bildet dann allerdings keine Früchte aus. Das rund 10 mal grössere
Beerenangebot pro Hektare an den Waldrändern gegenüber den
Fichtenbeständen bei gleichem Deckungsgrad, unterstützt diese
Hypothese (s. Anhang 8, S.45). Die sich vegetativ fortpflanzenden Kirschen
(geklumptes Vorkommen) und Haselnüsse fehlen im dicht bestockten
Fichtenbestand vollständig. Neben dem Lichtmangel ist diese Tatsache auf
die mächtige Rohhumusauflage zurückzuführen (Austrocknungsgefahr
und tiefer pH-Wert).
Die im Sihlwald von den Dachsen genutzten unterirdisch
wachsenden Pilze sind auf Waldbäume angewiesen und bilden
Mykorrhizzen aus. Der Vorteil dieser unterirdisch wachsenden Pilze besteht
darin, dass sie vor Frost und Trockenheit geschützt sind und somit das
ganze Jahr über Fruchtkörper bilden können. Im Gegensatz zu den
oberirdisch wachsenden Pilzen, welche ihre Sporen mit dem Wind verbreiten, sind
die hypogäischen Arten auf Tiere angewiesen. Dem Dachs, als einem der
Konsumenten dieser Fruchtkörper, kommt demnach vermutlich eine
Schlüsselstellung zu, denn die Verbreitung der Pilzsporen ist eine
Voraussetzung für ein erfolgreiches Gedeihen der Waldbäume. Aus den
Ergebnissen der Pilzangebotsbestimmung im Sihlwald (s. S.23) muss geschlossen
werden, dass der Dachs diese Pilze gezielt aufspürt. Die Tiere werden
vermutlich ähnlich wie die Wildschweine (CLAUS et al. 1981, zitiert in
PIROZYNSKI & MALLOCH 1988) von den abgegebenen Lockstoffen der reifen
Fruchtkörper angezogen. Um diese Vermutungen zu testen, wären weitere
chemische und quantitative Untersuchungen zur unterirdischen Pilzflora
nötig.
4.4 Diskussion der Nahrungsstrategie
Tiere sollten ihre Nahrungsressourcen effizient nutzen, da es
sehr wahrscheinlich ist, dass eine effiziente Nutzung zu maximaler
Wahrscheinlichkeit des Ueberlebens und der Reproduktion beiträgt, d.h. die
Fitness maximiert. Eine effiziente Nutzung beschreibt SCHOENER (1971) als
optimalen Einsatz der Ressourcen Zeit und Energie. Für welchen Nahrungstyp
sich ein Tier entscheidet, hängt nach MacARTHUR & PIANKA (1966)
einerseits vom Nutzen aus dieser Beute ab, und andererseits von den
dafür aufgewendeten Kosten (Finden, Fangen, Aufnehmen und Verdauen).
Die Kosten und Nutzen, welche sich aus diesem Modell für den Dachs ergeben,
sollen an dieser Stelle diskutiert werden:
Der
Nutzen, ausgedrückt als Energiegehalt der
Beute
[12], ist im Anhang (s. Anhang 7, S.44)
ersichtlich. Energetisch gesehen sind die Regenwürmer eine eher suboptimale
Beute, denn nur Früchte, Beeren und Pilze bzw. Gras zeigen geringere
Energiewerte. Sowohl die Insekten, wie auch die Wirbeltiere beinhalten bereits
mehr als doppelt soviel Energie, Getreide und Nüsse wären energetisch
gesehen sogar fünf bis zehnmal besser als die Würmer. Dennoch werden
gerade letzterwähnte Nahrungstypen im Sihlwald nur marginal genutzt.
Neben dem Nutzen den eine Beute erbringt, müssen eben
auch die
Kosten berücksichtigt werden: Zuerst muss eine Beute
gefunden werden, was beim Dachs wohl vorwiegend über seinen Geruchssinn,
Suchbilder und Traditionen (welche ihrerseits die Suchbilder in entscheidendem
Masse prägen) geschieht. Suchbilder, welche vor allem für häufige
und patchweise vorkommende Nahrung angelegt werden (TINBERGEN 1960, zitiert in
BEGON et al. 1991), verringern die Transitzeit. Nach NEAL & CHEESEMAN (1996)
scheinen sich auch die Dachse ein Bild von der Nahrungssituation in ihrem
Streifgebiet zu machen. Das überproportionale Fressen von Kirschen
wäre demnach mit diesen inneren Bilder zu erklären. Vermutlich liegt
eine ähnliche Situation bei den Zwetschgen, dem Obst und den
Getreidefeldern vor. Da diese Futterplätze aber oft weit auseinanderliegen
(Kirschen kommen in höherer Dichte vor), werden diese Nahrungstypen weniger
genutzt. Das Modell der optimalen Nahrungsstrategie (‘optimal foraging
theory’, beschrieben in KREBS & DAVIES 1987) besagt nämlich, dass
sich ein Tier seine Zeit optimal einteilen muss und zwischen der Verweildauer in
einem Nahrungspatch und dem Aufsuchen eines neuen Futterplatzes entscheiden
muss
[13].
Neben dem Finden der Beute gehört auch das Fangen bzw.
die Aufnahme der Beute zu den aufzuwendenden Kosten. Das Fangverhalten scheint
bei den Dachsen relativ unspezifisch zu erfolgen, denn nach LUEPS et al. (1987)
wird die Nahrung auf der Bodenoberfläche bzw. durch Graben in der
Streuschicht aufgenommen. Vereinzelt wurde aber auch auf spezielle Fangtechniken
hingewiesen (Regenwürmer: KRUUK 1978, Kröten: HENRY 1984, Wespen:
SCHMID & LUEPS 1988). Eigene Beobachtungen bei Dachsen im Tierpark in Goldau
haben erstaunliche Techniken bei der Aufnahme von Nüssen gezeigt (s. S.26).
Allerdings nahm das ‘Knacken’ dieses Nahrungstyps eine geraume Zeit
in Anspruch. Gerade der Faktor Zeit könnte für die Dachse in freier
Wildbahn aber ausschlaggebend sein, dass sie diesen energiereichen Nahrungstyp
zur Zeit der grössten Verfügbarkeit (Oktober) nur gelegentlich
aufnehmen. Eine überproportionale Aufnahme gegenüber dem Angebot
scheint v.a. in den Wintermonaten zu erfolgen, da zu dieser Zeit die fettreichen
Nüsse ein wichtiger Energieinput darstellen. Die unterproportionale Nutzung
der Brombeeren (Abb. 13) scheint ebenfalls in der Fangtechnik begründet zu
sein. Nach HINDENLANG (mündl.) meiden die Dachse grössere
Brombeerfelder, da diese mit Stacheln versehenen Pflanzen wohl auch die Dachse
abzuschrecken vermögen. Eine Aufnahme dieser Beeren beschränkt sich
vermutlich auf die Randbereiche der meist flächendeckenden
Brombeerbeständen, was zu einer unterproportionalen Aufnahme im Gegensatz
zu deren Verfügbarkeit führt.
Das Finden und Fangen der Beute allein nützt den Tieren
aber noch nicht viel, denn die Nahrung muss auch verdaut werden können.
Obwohl der Dachs ein Vertreter der Carnivora ist, scheint er in der Lage zu
sein, auch pflanzliche Nahrung zu nutzen: Nach NEAL (1948) hat der Dachs ein
typisches Raubtiergebiss, welches aber gewisse Abwandlungen zeigt, die für
Allesfresser bezeichnend sind. So sind die Molaren beträchtlich
abgestumpft, was für das Zerreiben pflanzlicher Nahrung von Vorteil ist.
Bei der Untersuchung des Magen-Darm-Traktes stellten STARK et al. (1987) fest,
dass der Dachs einen für die Carnivora bekannten Aufbau dieser Organe zeigt
(keinen Blinddarm und einen nur wenig vergrösserten Darm). Auch eigene
Beobachtungen unterstützen die carnivore Ernährungsweise der Dachse,
da z.T. grosse Mengen an unverdauten pflanzlichen Nahrungsresten in den Koten
auftauchten. Der rund fünf- bzw. zehnfach grössere Energiegehalt des
Getreides bzw. der Nüsse muss demnach relativiert werden, da die Nahrung
vermutlich nicht vollständig aufgeschlossen werden kann. Dennoch wird
pflanzliches Material aufgenommen und STARK et al. (1987) schliessen eine grosse
Verwertbarkeit dieser Nahrungstypen nicht aus, z.B. über eine
jahreszeitliche Aenderung der Enzymsekretion. Diese Vermutungen bedürfen
aber noch eingehenderen Untersuchungen.
Zusammenfassend für die Kosten kann also gesagt werden,
dass die morphologischen sowie die verhaltensmässigen und physiologischen
(erlernte oder evoluierte) Anpassungen es dieser Tierart erlauben, von einem
breiten Nahrungsspektrum Gebrauch zu machen. Bei der Entscheidung für einen
Nahrungstyp wird der Dachs also gemäss diesem Kosten-Nutzen Modell die
profitabelste Beute auswählen, d.h. der energetische Nutzen muss
grösser sein als die aufgewendeten Kosten (Finden, Fangen, Aufnehmen und
Verdauen). Andere Faktoren wie z.B. Neuheit, Geschmack, bestimmte Inhaltsstoffe
oder gewisse Habitatstrukturen (z.B. Strassen, Flüsse) können die
Nahrungsauswahl beeinflussen, sind aber nach LUEPS et al. (1987) von
untergeordneter Bedeutung.
Ob diese Nutzung der profitabelsten Beute, also demjenigen
Nahrungstyp, dessen Verhältnis von Kosten und Nutzen optimal ist, auch
für die Dachse im Sihlwald zutrifft, ist schwierig abzuschätzen, da
viele der benötigten Informationen fehlen oder fragmentarisch sind. Die
erwartete opportunistische Ernährungsweise der Dachse im Sihlwald, d.h. die
Nutzung der saisonal profitabelsten und am besten verfügbaren Nahrung, kann
demnach nicht abschliessend beantwortet werden.
4.5 Aussichten
Die Nutzung der pflanzlichen Nahrung durch die Dachse im
Sihlwald ist sehr gering. Dennoch vermögen einige pflanzliche Nahrungstypen
interessante Hinweise über vom Dachs besuchte Habitate liefern.
Insbesondere die genutzten Früchte weisen auf eine Verlagerung des
Aktivitätsraumes während der Sommer- und Herbstmonate hin. Unter
Beibezug der genutzten tierischen Nahrung (MINDER in Vorb.) sowie weiterer
Ergebnisse, insbesondere von Resultaten aus der telemetrischen Untersuchung
(HINDENLANG in Vorb.), wird sich das Bild über das Raumnutzungsverhalten
der Dachse vervollständigen.
Im Landwirtschaftsgebiet, welches im Rahmen des Dachsprojektes
im Sihlwald und Knonaueramt untersucht wird, werden die pflanzlichen
Nahrungskomponenten eine weit wichtigere Rolle in der Dachsnahrung spielen als
im Habitat Wald (KISTLER & MISTELI 1984, STOCKER & LUEPS 1984,
SHEPHERDSON et al. 1990). Früchte und Getreide werden im Sommer und Herbst
die Nahrung der Dachse dominieren. Da die Verfügbarkeit dieser
Nahrungstypen zeitlich auf wenige Wochen beschränkt ist, wird eine
vermehrte Kotprobensammlung und Angebotsbestimmung zur Reifezeit vorgeschlagen.
[8]KRUUK & PARISH (1978)
geben pro Wurm ein Gewicht (welches etwa dem Volumen entspricht) von 4,27g an.
Die Berechnungen des Regenwurmvolumens im Sihlwald basieren auf der Annahme
eines durchschnittlichen Wertes von 3 Millilitern pro Wurm (NABULON
mündl.). Exaktere Frischvolumenwerte werden noch erarbeitet (MINDER in
Vorb.).
[9]Es konnte kein statistischer
Zusammenhang zwischen der genutzten Regenwurmmenge und den Niederschlägen
gefunden werden.
[10]Kulturkirschen haben ein
rund doppelt so grosses Frisch-Volumen (3,61ml ± 0.41, n=20) wie
Wildkirschen (1,57ml ± 0.13, n=20).
[11]Einzig bei HENRY (1984)
konnte die Pilzart eruiert werden: Es handelte sich dort um Wurzeltrüffel
(
Rhizopogon-Arten), welche ebenfalls unterirdisch wachsen.
[12] Die Energieangaben
beziehen sich bei den pflanzlichen Komponenten auf den für den Menschen
verdaubaren Anteil, bei den tierischen Komponenten (ausser den Schnecken) auf
das Gesamtgewicht. Es wird davon ausgegangen, dass der Energiegehalt jedes
Nahrungstyps voll genutzt werden kann.
[13]Das Modell geht von einer
abnehmenden Futtermenge mit der Zeit im genutzten Patch aus.